"Eine neue Stufe der Vorstadtgewalt ist erreicht", meinte gestern ein Lokalpolizist in La Courneuve, einer Vorstadt im Nordosten von Paris. Am Wochenende entgingen vier Gendarmen nur knapp einem generalstabsmäßig geplanten Angriff. Ein 23-jähriger Drogenhändler namens Djamel H. täuschte in seiner Zelle um 2.30 Uhr einen epileptischen Vorfall vor. Auf dem Weg ins Krankenhaus schnitt ein Wagen dem Polizeitransporter den Weg ab. Ein vermummter Mann stieg aus und feuerte aus einer Kalaschnikow AK-47 eine Salve ins Gefährt, worauf der Drogenhändler in Handschellen entweichen konnte. Er wurde später wieder gefasst, und wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Innenministerin Michèle Alliot-Marie war indes schon Stunden später zur Stelle und erklärte, sie werde gegen die unbekannten Schützen "gnadenlos" vorgehen.

Vor vier Jahren hatte der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy nach einem Bandenstreit, der für einen Elfjährigen tödlich ausgegangen war, die "Reinigung" dieses Viertels mit dem Hochdruckstrahler, dem "Kärcher", versprochen. Dies löste unter anderem die schweren Vorstadtkrawalle des Herbstes 2005 aus, als über zehntausend Autos in Flammen aufgingen. Einzelne Linkspolitiker werfen dem heutigen Staatschef vor, er suche aus der Unsicherheit in der Banlieue-Zone vor den Europawahlen Anfang Juni erneut Kapital zu schlagen. Der Sarkozy nahestehende Fernsehsender TF1 berichtet sehr ausführlich über den Angriff auf die Polizei. Der Urnengang fürs Europaparlament am 7. Juni gilt in Frankreich als Test für die Regierung von Nicolas Sarkozy. Seine handfesten Versprechen für mehr Sicherheit haben in der Banlieue bis heute kaum etwas geändert. Mitte März war die Polizei in einer anderen Pariser Vorstadt, Les Mureaux, in einen Hinterhalt geraten. TF1 berichtete kaum darüber. Es herrschte auch noch kein Wahlkampf. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 20.5.2009)