Klaus Maria Brandauer stellt sich auf die Rolle von Kleists notgeilem Dorfrichter Adam ein: Zu sehen ist die Peter-Stein-Inszenierung ab 2. Juni im Theater an der Wien.

Foto: Toppress Austria

DER STANDARD: Sie feiern mit der Berliner Produktion von Kleists "Der zerbrochne Krug" ein Festwochen- Gastspiel und arbeiten bereits zum zweiten Mal mit Regisseur Peter Stein zusammen. Mit ihm gemeinsam soll auch "Ödipus auf Kolonos" entstehen. Ist Ihre Zusammenarbeit für Sie unerlässlich geworden?

Brandauer: Es soll schon vorgekommen sein, dass ein Österreicher mit einem "ausländischen" Theater bei den Wiener Festwochen gastiert. Zum Beispiel ich, 1972: als Petrucchio, von München kommend. Das ist noch nichts Besonderes. Die Zusammenarbeit mit Stein war eigentlich ein Zufall: Leute, die sich seit langem im selben Beruf bewegen, ohne sich von Angesicht zu kennen, was sehr selten ist, treffen aufeinander. Wenn man auf seine alten Tage dann doch noch zueinanderfindet, so ist das Zufall, Schicksal, Vorsehung. Unsere Zusammenarbeit bei Wallenstein hat uns eine große Freude gemacht. Wir machen weiter: Wir haben etwas aneinander gefunden, was ausbaufähig ist. (lacht)

DER STANDARD: Eint Sie beide nicht die Ablehnung gewisser Tendenzen im Gegenwartstheater? Dasjenige, was man die Willkür des modernen "Regietheaters" im Umgang mit der Weltliteratur bezeichnen könnte?

Brandauer: Ich kann mich nicht erinnern, irgendwann in meiner Arbeit jemals auf das geschielt zu haben, was andere machen! Muss ich mich gegen etwas verwahren und das in meine Arbeit einfließen lassen? Nein, ich lese ein Stück - damit man weiß, dass man ein Stück spielt - und keine Rolle. Eine Rolle spielt man ja ohnehin. Dann schaut man, mit wem man besagtes Stück machen möchte. Wir haben vor dem Wallenstein nicht vorgehabt, uns gegen den Mainstream abzugrenzen. Stein wusste von meiner Arbeit nichts - außer dass er Filme mit mir gesehen hatte. Er hatte keine Ahnung und obendrein eine schlechte Meinung von mir. Das rührte von einer Dokumentation über die Fritz-Kortner-Inszenierung von Emilia Galotti am Wiener Josefstadt-Theater her, in der ich mitgespielt hatte. Ich führte moderativ durch den Film und sprach eben so, wie ich damals auf der Bühne und im "veröffentlichten" Privatleben zu sprechen pflegte. Das hat ihn maßlos gestört. Ich hingegen schätzte seine Regiearbeiten immer. Nur war die Berliner Schaubühne für mich ein geschlossener Kreis.

DER STANDARD: Hat Sie das Mitbestimmungssystem an der Schaubühne interessiert?

Brandauer: Ich war damals jung. Mich interessierte: auftreten, arbeiten, Interpretationsarbeit leisten, mich ins rechte Licht stellen, mit Figuren, die mich interessiert haben, mich bei Bedarf darüber streiten, was ich mir selbst zu einer Figur ausgedacht hatte! Mitbestimmungsmodelle waren mir lila.

DER STANDARD: Idealerweise sollte in den 70er-Jahren besser "interpretiert" werden, indem man eben alle am Theater Beschäftigten in den Entstehungsprozess mit einbezog.

Brandauer: Ich habe einen ganz anderen Verdacht: Jemand, der in seiner Mannschaft etwas durchsetzen will, muss auch schlau sein. Es gibt ein demokratisches Modell: gut. Nur besitzt derjenige, der es einführt, auch großartige Mittel, um die Leute sanft zu leiten und zu lenken. Demokratie auf dem Theater ist eine komplizierte Geschichte. Da wir nicht mehr für Ramses II. sein wollen, sondern für die bewährte Form der Demokratie, ist das auch in Ordnung. Bei der Theaterarbeit ist das bessere, treffendere Argument aber der wirkliche "Oberspielleiter" - egal, von wem es kommt. Das müssen die Mitwirkenden einfach ertragen, was nicht heißt, dass ich als Mitwirkender einem Regisseur unbedingt ins Handwerk pfuschen muss. Was ich allerdings glaube: Was aus dem Text nicht herauslesbar ist, was nicht eine gemeinsame, für alle tragbare Interpretation beinhaltet, kann nicht klar werden auf dem Theater! Das Theater darf nichts verwässern. Wir können es nicht ghettoisieren, indem wir sagen: "Für jeden können wir es nicht verständlich machen." Oh ja! Man muss immer verständlich bleiben!

DER STANDARD: Dürfen Sie Herrn Stein auf der Probe widersprechen?

Brandauer: Auf der Probe reden wir wenig miteinander. Wir wissen, wo die Reise hingeht - bereits dann, wenn wir uns zum ersten Mal zusammenfinden, sind die Fragen im Wesentlichen geklärt. Ich weiß dann bereits, dass die Vorschläge des Regisseurs für mich gangbar sind, ob nun mit mir abgestimmt oder nicht. Ich brauche ganz einfach Menschen, die schön auf mich aufpassen, damit ich nicht gezwungen bin, mich auf der Probe ununterbrochen selbst zu beobachten. Das hemmt. Ein Schauspieler muss die fünf, sechs Stunden, die er am Tag probiert, so blöde, so dämlich, so wahnsinnig operieren dürfen wie möglich.

DER STANDARD: Musste der "Wallenstein" , 2007 aufgeführt in einem Brauereigebäude in Neukölln, wie ein Feldzug geplant werden?

Brandauer: Als ich das erste Mal diese Brauerei besuchte, wusste ich sofort, was Stein mit der Wahl des Spielorts sagen wollte: Es werde Licht! Stein ist nicht nur hochgebildet, sondern ein Ingenieur, Bauherr und Feldherr.

DER STANDARD: Ihr Wallenstein hat den Genuss gezeigt, den ein Machtmensch im Spiel mit seinen Möglichkeiten erfährt. Warfen Sie bewusst ein Schlaglicht auf den Typus des heutigen Politikers?

Brandauer: Ich hatte ja das Unglück, dass mir bei der zwölften Vorstellung eine schwere Wand die Zehe amputiert hat. Sie wurde mir später wieder angenäht. Ich habe diese acht Stunden durchgehalten, doch anschließend musste man mir den Stiefel vom Bein schneiden. Erst dann hatte ich Schmerzen. Wie ging es also weiter? Im Rollstuhl. Ich habe mir ein chromblitzendes Gerät beschafft, mit dem ich gut hantieren konnte, und bin losgerollt. Es war alles wie immer, nur dass ich halt "an den Rollstuhl gefesselt" war. Dieses Erlebnis möchte ich nicht missen! Es gab mir einen Riss ins Heute, ohne dass ich etwas dazutun musste.

Sie müssen eine Figur von vornherein so layoutieren, dass sie in der Zeitenfolge nach vorn und zurück weist! Wenn etwas nicht ins Heute hereinreicht, so hat es keinen Sinn. Wenn etwas aber nur aus Heutigkeit besteht, kann etwas nicht stimmen. Wenn Sie Julius Caesar ein Hitler-Bärtchen ankleben, funktioniert es nicht. Da funktioniert eher: gar kein Bärtchen, und man geht in der Zeit zurück. Dann erzielen Sie am ehesten eine Übereinstimmung mit der Figur.

DER STANDARD: Ohne Gefangener der Interpretationsvorgabe zu sein?

Brandauer: Ich traf eine Straßenhändlerin am Bahnhof Friedrichstraße, die bot Schals feil: "Reine Seide!" Ich: "Geben Sie schon einen her!" Als ich weitergegangen war, rief sie mir hinterher: "Ist gar keine Seide!" Diesen Schal hatte ich als Wallenstein um den Hals. Der Glaube versetzt eben Berge.

(Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 23./24.05.2009)