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Die von den Literaturwissenschaftern Victoria Lunzer-Talos und Heinz Lunzer edierte Biografie Joseph Roth - Leben und Werk in Bildern widerlegt dieses Missverständnis. Ein opulentes Kaleidoskop, bestehend aus privaten Fotografien in Konnex mit zeitgenössischen Abbildungen der ihn prägenden Orte, der ihn beeinflussenden Regierungsformen, politischen Ideen und deren Metamorphosen, zeichnet das Porträt des sensiblen Journalisten und Schriftstellers. Illustriert werden die vielschichtigen Gesichter Roths anhand einer Unzahl an Faksimiles literarischer Handschriften, persönlicher Briefe, privater Notizen: Dokumente seiner Melancholie, gepaart mit präziser analytischer Gabe, sozialem Gewissen und tiefgreifender Menschenkenntnis.

Frühe Fotografien illustrieren seine jüdische Herkunft, seine Kindheit in Ostgalizien. Überraschend bourgeois wirkt Roth in jungen Jahren, gerade zu der Zeit, in der er als Journalist der Arbeiterzeitung linken Ideologien zugetan ist. Ein junger, unbeschwerter Dandy spaziert gemeinsam mit seiner modernen Frau durch Paris, Nizza, Berlin, neugierig, suchend, hinterfragend, lernend. Eine humanistische Grundhaltung prägt den Kosmopoliten gegenüber Monarchie, Demokratie und Diktatur. Der Verlust der eigenen Identität geht einher mit der Müdigkeit einer Generation, dem wehmütigen Niedergang einer Epoche. Wie seine Romane seine Rastlosigkeit widerspiegeln, so verändert sich auch das Antlitz seiner von Wehmut und Unentschlossenheit geprägten Umgebung. Sein später stets suchender, introvertierter Gesichtsausdruck spiegelt die unstete Melancholie der ehemaligen Wiener Jeunesse dorée, gefangen in Bitterkeit, Resignation und Orientierungslosigkeit, wider; treffend beschrieben in seinem klar und nuanciert formulierten Werk. Wanderschaft und Exil sind wiederkehrende Themen seiner Vita.

Die einzelnen, sorgfältig zusammengetragenen Mosaiksteine, Fotos, Handschriften, Briefe, Zeichnungen, manuell transkribierte Editionen, Faksimiles seiner international publizierten Bücher verdichten sich zu einem famosen Gesamtbild, dokumentieren die Zerrissenheit eines großen, sensiblen Literaten, der an der Beengtheit, an politischen Umständen und sozialen Unzulänglichkeiten seiner Zeit zerbrochen ist: "... ich bin ein Franzose aus dem Osten, ein Humanist, ein Rationalist mit Religion, ein Katholik mit jüdischem Gehirn, ein wirklicher Revolutionär." (Gregor Auenhamme, DER STANDARD/Printausgabe, 23./24.05.2009)