DER STANDARD

Im Tempel hatten sich rund 200 Feiernde befunden - es soll 30 Verletzte geben

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Die Polizei soll von den Drohungen informiert worden sein, hieß es am Sonntag

Foto: APA

Wien – "Das war kein Familienstreit. Es geht um Religion", sagt Kumar Baluinder, Vizepräsident des Vereins "Shri Guru Ravi Dass Sabha Vienna". "Denen haben einfach die zwei Gurus, die aus Indien angereist sind, nicht gepasst. Das war das Problem", ergänzt ein junger Mann. Seine festliche, leuchtend weiße Kleidung ist mit Blutspritzern übersät.

So wie viele andere Gläubige – erste Schätzungen schwankten zwischen 150 und 300 Menschen – befanden sich die beiden in einem Gebetsraum der indischen Glaubensgemeinschaft in der Pelzgasse, als einer der Anwesenden plötzlich eine Pistole, fünf weitere Messer zogen. Mehrere Gläubige stürzten sich auf die Angreifer, entwaffneten sie und verletzten sie dabei schwer.

Rund 30 Menschen wurden verletzt, teils durch Kopfschüsse und Stichwunden, fünf davon schwer. Hubschrauber transportierten die am schwersten Verletzten in das SMZ Ost, das Unfallkrankenhaus Meidling, in das Lorenz-Böhler-Spital sowie ins Krankenhaus Krems in Niederösterreich. "Es sind sehr viele Verletzte hinausgelaufen", sagt Polizeisprecher Michael Takacs. Es dürfte noch mehrere Leichtverletzte geben, die sich selbst verarztet oder eigenständig Krankenhäuser aufgesucht hätten. Das Gebiet um den Westbahnhof wurde großräumig abgesperrt.

Zwei Täter – der 45-jährige Tarsem S. sowie der 28-jährige Satwinder S. – seien bereits aus dem Krankenhaus entlassen und in U-Haft genommen worden. Am Montag sind in Wien zudem zwei Hausdurchsuchungen durchgeführt worden. Mit weiteren Festnahmen sei aber nicht zu rechnen, betonte Gerhard Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft (StA) Wien.

Einer der mutmaßlichen Täter wurde am Montagabend aus dem Landesklinikum Krems nach Wien verlegt. Das hat Rudolf Slamanig, Leiter des NÖ Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT), auf Anfrage der APA bestätigt. Der Mann war am Sonntag nach Krems eingeliefert worden, wo er unter Bewachung von Beamten des LVT ebenso wie von Uniformierten stand. Der Patient habe eine unfallchirurgische Erstversorgung erhalten und sich am Montag in einer "intensivmedizinischen Nachbetreuung" befunden, teilte der ärztliche Leiter des Landsklinikums Krems, Gerhard Kronik, am Nachmittag laut NÖ Landeskliniken-Holding mit. Der Mann sei "in einem stabilen Zustand". In den Abendstunden erfolgte seine Überstellung in ein Wiener Krankenhaus.

Nach Wien angereist

Dass Sabha, der Namensgeber des Vereins, war mit einem weiteren indischen Guru eigens für die Predigt nach Wien angereist. Laut Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft war das der anderen Sikh-Gruppe aus Wien-Donaustadt – die mit blau-gelben Turbanen zur Predigt erschienen – nicht recht. "Es gab schon einige Male Probleme mit denen. Die glauben, nur sie haben das Recht auf das heilige Buch", sagte ein Augenzeuge zum STANDARD. Bisher seien die Donaustädter Sikhs der Pelzgasse ferngeblieben. "Ich habe sie hier noch nie gesehen."

Der kleine Tempel, der sich im Erdgeschoß eines schmucklosen Mietshauses befindet, ist seit 25. Dezember 2005 in Betrieb – auch mit dem indischen Gebetshaus in Meidling liegt man laut Augenzeugen seither im Clinch. Die Polizei sei von der Veranstaltung und den möglicherweise dabei auftretenden Schwierigkeiten bereits vor einigen Tagen informiert worden, sagte Augenzeuge Jasuf Kalder der Austria Presse Agentur.

Ob man tatsächlich schon im Vorfeld von den drohenden gewalttätigen Auseinandersetzungen informiert war, wollte die Wiener Polizei vorerst nicht bestätigen. Man müsse das erst genau untersuchen, bevor man dazu Stellung nehmen könne, sagte eine Sprecherin zum STANDARD.

Ein Prediger verstorben

Der verletzte 57-jährige Guru Sant Rama Nand ist in der Nacht auf Montag im Krankenhaus verstorben. "Der behandelnde Arzt war zunächst nach einer Notoperation zufrieden mit dem Zustand des Verletzten", erklärte ein Sprecher der Polizei, "allerdings kollabierte der Mann kurze Zeit später plötzlich und verstarb gegen Mitternacht".

Der Zustand eines weiteren 68-jährigen Gurus, Sant Niranjan Dass, sei hingegen nach einer ebenfalls vorgenommenen Notoperation stabil, teilte die Polizei laut Ärzten mit. Indischen Botschaftsangaben zufolge hat er sich sogar deutlich gebessert: "Sant Niranjan Dass geht es sehr gut. Einer unserer Beamten hat ihn heute getroffen. Er könnte schon bald (aus dem Krankenhaus, Anm.) entlassen werden", sagte ein Vertreter der indischen Botschaft in Wien am Montag der Tageszeitung "Times of India" (Internetausgabe).

"Er ist gesund und wohlauf", sagte der stellvertretende Leiter der indischen Botschaft, Achal Malhotra, weiter. Dem Zeitungsbericht zufolge ist eine 25-köpfige Delegation der Sikh-Glaubensströmung "Shri Guru Ravidas Sabha", angeführt von ihrem Vorsitzenden in Großbritannien, Yograj, nach Wien aufgebrochen, um ihre nach dem blutigen Zwischenfall aufgebrachten Glaubensbrüder zu beruhigen "und den Frieden wiederherzustellen".

Der indische Sikh-Prediger Sant Niranjan Dass ist der Führer einer Glaubensströmung namens Dera Sachkhand. Der 66 bis 67 Jahre alte Mann erlitt einen Bauchschuss und einen Hüftknochensteckschuss. Sein Kollege Sant Rama Nand wurde laut Polizeisprecher Michael Takacs ebenfalls von zwei Kugeln getroffen. Die Projektile trafen den Inder in Bauch und Rücken.

Leichnam wird nach Indien überstellt

Der Leichnam von Sant Rama Nand soll nach Abschluss der gerichtsmedizinischen Untersuchungen in seine Heimat nach Indien überstellt werden. Zu den erwarteten Solidaritätsaktionen gläubiger Anhänger liegen der Polizei noch keine konkreten Anhaltspunkte vor. Derzeit seien jedenfalls noch keine Gedenkfeiern für den getöteten Prediger bekannt, so ein Polizeisprecher. Dasselbe gelte für Beistandsveranstaltungen für den Sant Niranjan Dass.

Man gehe davon aus, dass die Inder, die aus dem Ausland anreisen dürften, sich zusammenfinden und gemeinsam trauern werden. Ausschreitungen befürchte man derzeit nicht. Das Gebetshaus in der Pelzgassen werde jedenfalls noch einige Tage gesperrt sein, Messen könnten dort also nicht abgehalten werden.

Indische Medien berichten

Auch in indischen Medien wurde am Montag detailreich über die Wiener Vorfällen berichtet. Nach Angaben des indischen Internetdiensts "Punjab Newsline" kam es zu der Schießerei in Wien, weil dem Prediger Sant Niranjan Dass und seinen Anhängern sogenannte Siropas (Schals) überreicht wurden, was bei den Sikhs als besondere Ehrerbietung gilt. Der Basler Religionswissenschafter Christoph Peter Baumann vermutete als Grund, dass die Prediger das Heilige Buch nicht im Sinn der Sikhs auslegten.

Die Glaubensströmung der Ravi Dassi verehrt – im Gegensatz zu den Sikhs – seit Jahrhunderten Sant Ravi Dass als Guru. Dementsprechend gibt es einige zusätzliche Texte in ihrem Heiligen Buch.

In London hatte es Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre massive, von Gewalttaten begleitete Probleme zwischen Sikh-Gruppierungen gegeben. Nachdem Religionsgemeinschaften und Behörden einen Konsens erarbeitet hätten, gebe es mittlerweile gegenseitige Anerkennung und ein friedliches Zusammenleben, so Baumann zur APA. (APA/red/Martina Stemmer/DER STANDARD, Printausgabe, 25. 5. 2009)