"Es wäre mir unmöglich, noch einmal in das System einzutreten, noch einmal lügen zu müssen, deswegen war für mich der Rücktritt klar."

Foto: derStandard.at/hirner

"Ich hätte auch bei der Aktion "Gläserner Athlet" mitgemacht, weil man sich als sauberer Sportler hinstellen muss."

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"Ich habe das Lügen und die Heuchelei in diesem Sport einfach satt", sagte der wegen Dopings gesperrte Bernhard Kohl am Montag auf einer Pressekonferenz in Wien, bei der er seinen Rücktritt vom Profiradsport bekannt gab. Der 27-jährige Niederösterreicher, der als Dritter der Tour de France 2008 und Gewinner des Bergtrikots bei Nachkontrollen positiv auf das EPO-Derivat CERA getestet worden war, hatte im Oktober 2008 ein Dopinggeständnis abgelegt.

Vom Held zum Buhmann

"Die Entscheidung ist mir keineswegs leicht gefallen, das war schon ein längerer Prozess. Denn man muss sich vorstellen, dass der Radsport mein ganzer Lebensinhalt war. Ich habe seit Jahren nichts anderes gemacht, ich habe das Riesenziel gehabt, Profi zu werden und erfolgreich zu sein. Im letzten Dreivierteljahr sind einfach wahnsinnig viele Sachen passiert, zuerst die Tour de France mit dem riesigen Erfolg, auf einmal bin ich innerhalb von kürzester Zeit der Held der Nation geworden. Durch den positiven Nachtest aber bin ich des Dopings überführt und plötzlich zum Buhmann der Nation geworden."

"Völlig überfordert"

"Das hat mich persönlich schwer getroffen und ich bin plötzlich vor dem Trümmerhaufen meiner Karriere gestanden. Mein komplettes Leben ist von heute auf morgen anders geworden. Und man kann sich auch vorstellen, wenn das Leben auf einmal komplett einbricht, dass man auch entscheidungsunfähig wird. Ich war mit der Situation damals völlig überfordert. Erschwerend dazugekommen ist, dass ich mit Stefan Matschiner den falschen Berater an meiner Seite gehabt habe. Damals sind sehr viele Fehler passiert und dafür möchte ich mich auch entschuldigen, bei der Öffentlichkeit, bei den Journalisten und bei den Fans. Und da ganz speziell bei meinen jungen Fans, für die ich Vorbild war. Leider ist diese Vorbildwirkung nach hinten losgegangen."

Sportlermärchen

Kohl prangerte die Einstellung vieler seiner ehemaligen Kollegen an: "Es ist schon erschreckend, wie Sportler reagieren, wenn eine positive Probe vorliegt. Von 100 erwischten Sportlern streiten 99 vehement Doping ab, sie erfinden irgendwelche Märchen, wie es dazu kommen konnte. Mir ist innerhalb eines Tages klar geworden, dass ich Doping eingestehen werde, weil ich mit der Lüge nicht mein ganzes Leben bestreiten will. Meine Gedanken sind dann immer klarer geworden und so ist der Entschluss gereift, dass ich in dem System, in dem der Radsport steckt, nicht mehr leben kann und will."

Umfassendes Geständnis

Kohl war froh, "dass die SOKO Doping gegründet worden ist, weil es das erste Mal ist, dass wirklich vehement gegen Doping vorgegangen wird und richtig ermittelt wird. Österreich hat diesbezüglich eine Vorreiterrolle. Ich habe mein ganzes Wissen von A bis Z preisgegeben und das war für die Ermittlungen sicher sehr förderlich und hat schlussendlich auch zu Verhaftungen geführt."

"Irgendwann bin ich dann zu einer Weggabelung gekommen, wo es nur noch zwei Richtungen gegeben hat, die eine war die Rückkehr in den Profisport, die andere, dass ich den Rücktritt mit allen Konsequenzen bekannt geben werde. Aber Ich habe das Lügen satt, ich habe soviel erlebt, dass ich das Ganze nicht mehr aufrechterhalten kann. Es wäre mir unmöglich, noch einmal in das System einzutreten, noch einmal lügen zu müssen, deswegen war für mich der Rücktritt klar."

"Im Weltklassebereich geht es ohne Doping nicht"

Eines war dem Niederösterreicher von vornherein klar: "Wäre die Entscheidung für den aktiven Profiradsport gefallen, so hätte ich wieder dopen müssen. Ich habe in meiner Karriere so viel erlebt und mitbekommen, dass ich sagen kann, dass es in einem Ausdauersport im absoluten Weltklassebereich leider Gottes ohne Doping nicht geht, in dem du ohne Doping nicht gewinnen kannst."

"Fünf Mal den Mount Everest berghoch"

Dass ein Profiradsportler schier unmenschliches leistet, sollte jedem TV-Konsumenten zumindest bei der Berichterstattung von der Tour de France einleuchten. Kohl verdeutlichte diese Strapazen mit gewichtigen Zahlen: "Ein gutes Beispiel ist, wenn man sich nur einmal die Zahlen der Tour de France vor Augen hält. Die Tour führt über 3.200 Kilometer und 33.000 Höhenmeter. Das ist fünf Mal den Mount Everest berghoch. Und wir fahren das mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h. Jeder normale Radfahrer weiß, was für eine Kraft notwendig ist, wenn man nur eine Stunde 30 km/h fährt und von uns wird verlangt, dass man über drei Wochen mit 40 km/h diese Höhenmeter bewältigt und das ist leider Gottes nicht möglich. Und Öffentlichkeit und Medien erwarten einen sauberen Sport."

200 Kontrollen, nur einmal erwischt

"Ich habe auch die Kraft nicht mehr. Ich habe in meiner Karriere rund 200 Dopingkontrollen gehabt und bin nur einmal des Dopings überführt worden. Man sieht also ganz klar, dass eine negative Dopingprobe nicht automatisch einen negativen Sportler bedeutet. Das Problem für die Sportler ist, dass das Thema Doping immer mehr in die Öffentlichkeit rückt, die Medien berichten immer mehr darüber. Was bleibt einem Sportler übrig, als es vehement abzustreiten. Wenn ich nicht positiv getestet worden wäre, ich hätte auch bei der Aktion "Gläserner Athlet" mitgemacht, weil man sich als sauberer Sportler hinstellen muss."

Erste Spritze mit 19 Jahren

"Doping fängt schon so früh an, dass man damit konfrontiert wird, bevor man noch in der Öffentlichkeit steht. Meine erste Spritze bekam ich mit 19 Jahren.
Und wenn man dann von den Medien gefragt wird, wie man zum Thema Doping steht, was willst du dann anderes sagen? Du bist ja schon Jahre in dem System drinnen."

Keine Rückkehr möglich

Bernhard Kohl blickt nun der Realität ins Auge: "Wenn man die volle Wahrheit sagt, kann man in das System gar nicht mehr zurückkommen. Kein einziges Team würde mich in der Situation, in der ich mich nun befinde, noch verpflichten."

Zum Verdacht, dass Bernhard Kohl eine mitfinanzierte Blutzentrifuge auch anderen zur Verfügung gestellt haben soll, sagte sein Anwalt Manfred Ainedter: "Bernhard ist in dieser Causa noch nicht einvernommen worden. Er hat aber keine Kenntnisse, dass Matschiner auch noch anderen als den Mitfinanziers die Maschine zur Verfügung gestellt hat." Er glaube nicht, dass in diesem Fall etwas rauskommen werde.

Kohl nennt keine Namen in der Öffentlichkeit

Auf die Frage eines Journalisten, ob er vielleicht auch Georg Totschnig im Zuge der Blutaufbereitungen getroffen habe, meinte Kohl, er werde öffentlich keine Namen nennen, auch nicht den Namen jenes Sportlers, der ihm zu CERA verholfen hat.

Doping-Prävention, Vorträge, Radcamps

Bernhard Kohl bestätigte, dass sein Deckname bei Humanplasma jener der Zeichentrick-Animationsfigur "Shrek" gewesen ist. In Zukunft will er sich durch die Erfahrungen, die er gesammelt hat, für die Doping-Prävention einsetzen, Vorträge halten, wie man mit Erfolgen umgeht und Krisen bewältigt, sowie Radcamps organisieren.

"Ich habe die volle Härte des Systems mitbekommen, ich weiß, was es bedeutet, zu dopen und welche Konsequenzen daraus resultieren. Man muss bei der Jugend ansetzen und nicht im Profisport, wo das ganze schon systematisch läuft, wo Dopingkontrollen schon fast nutzlos sind. (Thomas Hirner, derStandard.at, 25. Mai 2009)