Vancouver - Um die Vielfalt des Lebens in den Weltmeeren besser zu verstehen und in Zukunft auch genauere Strategien über Fischereiquoten zu erstellen, arbeiten rund 100 Forscher im Rahmen des Census of Marine Life an einem historischen Weltatlas (HMAP) der Biodiversität der Meere. Dieser wird mit Daten bestückt, die bis 8.000 Jahre vor Christus zurückreichen - detailreicher wird das Wissen aber erst ab dem Mittelalter. Eines zeichnete sich beim Studium der Aufzeichnungen schnell ab: Die massive Ausbeutung der Ozeane durch den Menschen reicht demnach schon mehrere hunderte Jahre zurück.

Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen

"Um 1870 wurden in der Nordsee rund 300.000 Tonnen Heringe gefangen. Diese Zahlen entsprechen in etwa den heutigen Fangquoten", so der Vorsitzende der HMAP Poul Holm vom Trinity College in Dublin. Um besser zu verstehen, wie der Zustand unserer Ozeane heute ist, muss man auch den Blick in die Vergangenheit richten und darüber forschen, wie sich die Weltmeere im Laufe der Zeit verändert haben. Insgesamt rund 100 Experten - von Historikern bis hin zu Ozeanographen - sind in 15 regionalen Projekten diesen Fragen nachgegangen. "Noch vor wenigen Jahren hat sich niemand dafür interessiert, doch in diesen Forschungsergebnissen liegen Antworten für das zukünftige Handeln", meint Holm.

Katastrophale Beispiele

Als Quellen haben die Forscher alle möglichen historischen Dokumente von Einträgen in Logbüchern von Fischern bis hin zu Steuererklärungen und anderen geschichtlichen Aufzeichnungen verwendet. Auch archäologische Daten - etwa zur Bestimmung von Schneckenspezies in der Karibik - wurden berücksichtigt. In den meisten Fällen habe die kommerzielle Fischerei das Bild der Fischbestände dramatisch verändert, so die Forscher. Seit den frühen 1800-er Jahren ist die Zahl der südlichen Glattwale - die Bestände lagen ursprünglich zwischen 32.000 und 22.000 Tieren - auf rund 25 ausgewachsene Weibchen im Jahr 1932 zurückgegangen. Heute beträgt der Bestand etwa 1.000 Tiere. Den ersten Kollaps eines Fischbestands gab es im späten 19. Jahrhundert an Heringen. In weniger als 40 Jahren fielen die Bestände an Seepferdchen auf den Philippinen auf nur mehr zehn Prozent des vormaligen Bestands.

"Ein sehr positives Beispiel waren etwa die Seegraswiesen im südwestlichen Golf von Kalifornien, die nur geringe Veränderungen gegenüber historischen Aufzeichnungen zeigten", so Holm. Das sei jedoch die Ausnahme. Kommerzielle Fischerei habe in den meisten Regionen zu großen Veränderungen der Bestände geführt. Das gelte auch ganz speziell für Fischereiregionen, die bis vor wenigen Jahrzehnten praktisch nicht befischt wurden wie etwa Patagonien oder der Südpazifik."Komplexe Ökosysteme werden von großen Raubtieren dominiert", meint Holm. Dazu gehören in den Meeren neben Robben auch Wale, Haie und Tunfische. Tunfische sind ein gutes Beispiel für schlechtes Fischereimanagement. Während die Bestände der großen Räuber in den amerikanischen Gewässern konstant sind, wurden sie in der Nordsee und im Atlantik bis 1950 rücksichtslos gejagt. Seither haben sich die Bestände immer noch nicht erholt.

Nachhaltiges Denken erforderlich

Fischerei-Management sei nur dann effektiv, wenn man sich mit den komplexen Lebenszyklen der betreffenden Tiere beschäftigt. Und diese sind sehr verschieden voneinander. Das Wissen um die historischen Bestände und die Veränderungen sollen dabei helfen, die Komplexität besser zu verstehen. "Es ist unzweifelhaft, dass die Vernichtung der Walbestände im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu massiven Schäden geführt hat, denn diese Tiere haben in der gesamten Nahrungskette eine entscheidende Rolle gespielt." Im Gesamtzusammenhang müsse mehr Wert darauf gelegt werden, Fischereimanagement langfristig zu gestalten, um damit einzelnen Spezies die Möglichkeit zur Erholung zu geben. (pte/red)