New York - Die "New York Times" hat sich nach Aussage früherer Mitarbeiter im August 1972 die Gelegenheit entgehen lassen, den Watergate-Skandal aufzudecken. "Wir haben das verpasst", sagte der heute im Ruhestand lebende frühere "Times"-Chefredakteur Robert H. Phelps am Montag in einem Interview. Die Affäre wurde knapp zwei Monate später von der Zeitung "The Washington Post" ans Licht gebracht.

In seinen im April erschienen Memoiren beschrieb Exchefredakteur Phelps, dass der damalige "New York Times"-Reporter Robert M. Smith Mitte August 1972 entscheidende Informationen über den Skandal vom amtierenden FBI-Direktor Patrick Gray erhalten und an Phelps weitergegeben habe. Diesen Informationen wurde aber offenbar nicht nachgegangen.

Kein Dementi

Smith bestätigte die Angaben Phelps'. Er habe am 16. August 1972 mit Gray zu Mittag gegessen. Dabei sei die Rede auf den Lauschangriff auf die Zentrale der Demokratischen Partei im Watergate-Komplex gekommen, und Gray habe ihm gesagt, dass der frühere Justizminister John Mitchell damit zu tun habe. Mitchell war zurückgetreten, um Nixons Wahlkampf zu leiten. Die Frage, ob auch höhere Stellen beteiligt gewesen seien, habe Gray bejaht. "Ich schluckte und sagte: 'Der Präsident?' Und er hat mir in die Augen gesehen" und es nicht dementiert, erinnerte sich Smith.

Er sei mit den Informationen sofort zu Phelps gegangen. Dieser machte sich Notizen und zeichnete das Gespräch auf Band auf. Beide erklärten am Montag, sie wüssten nicht, was aus dem Band, den Notizen oder den Informationen geworden sei. Smith, der unmittelbar danach ein Jurastudium aufgenommen hatte, sagte, er sei damals davon ausgegangen, dass sich die Informationen als haltlos erwiesen hätten und deswegen nicht veröffentlicht worden seien.

Phelps sagte, er könne sich nicht daran erinnern, ob dem Hinweis nachgegangen worden sei. Er selbst habe kurz danach einen vierwöchigen Urlaub angetreten. Er schreibt in seinen Memoiren, dass es unvorstellbar sei, dass er keine Reporter auf das Thema angesetzt habe. Tatsache sei aber, dass er die Hauptverantwortung dafür trage, dass die "Times" die beste Gelegenheit für eine frühe Enthüllung des Skandals verpasst habe.

Die "Washington Post" berichtete am 10. Oktober 1972, dass das Weiße Haus und die republikanische Partei des damaligen Präsidenten Richard Nixon laut Ermittlungen der Bundespolizei FBI in den Lauschangriff auf die Zentrale der Demokratischen Partei in Washington verwickelt waren. Der Skandal führte zwei Jahre später zum Sturz Nixons. Das beispiellose Polit-Drama wurde 1976 unter dem Titel "All the President's Men" (Die Unbestechlichen) mit Robert Redford und Dustin Hoffman verfilmt. (APA/AP)