Wien - Unsere Großeltern, die unbekannten Wesen. Wie haben sie gelebt, welche Geschichten können sie erzählen, und was haben sie möglicherweise zu verbergen? Mit Oral History beschäftigt sich der Schweizer Autor und Dramaturg Mats Staub in seinem Langzeitprojekt Erinnerungsbüro, Meine Großeltern, das zurzeit als Installation bei den Wiener Festwochen in der Ursula Blickle Lounge der Kunsthalle Wien zu erleben ist.

Staub hat weit über zweihundert Gespräche mit Enkeln über ihre Omas und Opas geführt. Schon sein in Wien gesammeltes Gesprächsmaterial hat einen Umfang von mehr als zwanzig Stunden. Die jüngste Enkelin unter den Befragten geht noch zur Schule und die älteste hat selbst bereits Enkel. Die freundlichen Projektbetreuer der Festwochen tragen rote T-Shirts mit der Aufschrift "Enkelin" oder "Enkel", aber nicht alle von ihnen haben für Staub über ihre Großeltern gesprochen.

Die Interviews sind auf iPods gespeichert, und die Besucher können über Bilder und Daten auf Leuchtkästen, die mit Nummerncodes versehen sind, ihre eigenen Geschichtensammlungen erstellen. Sehr schnell wird klar, dass es hier nicht einfach um die Reproduktion von Erinnerungmaterial geht, sondern um einiges mehr.

Die Grundlage der Erzählungen speist sich aus den Vorfahren, doch das Mehr ergibt sich aus der Art, wie die Enkel erzählen, und aus dem Auswahlverfahren jedes einzelnen Besuchers. Also geschieht ein dreifaches Porträtieren: die Darstellung der Quelle, die der berichtenden Transmitter und jene der Rezipienten.

Letztere stellen sich durch ihre eigenen Interessen am Material, in der Umsetzung ihrer Auswahl dar. Auf Landkarten - Welt, Europa, Österreich - kann man auch sich und die Großeltern mit bunten Nadeln in den von Staub aufgemachten Zusammenhang verorten.

Diese Geste der Einladung relativiert die Distanz zwischen Publikum und dem angebotenen Material. Die Stimmen aus den Kopfhörern vermitteln eine besondere Intimität. Der Sprachduktus der Erzähler und ihr Hang zur Interpretation machen das Zuhören zu einem persönlichen Erlebnis, zu einem Lauschen ins Private, das hier unvermeidlich politisch wird.

Natürlich geht es hier um Zeitgeschichte(n) aus der Zwischenkriegszeit, der NS-Zeit, den Jahren danach. Doch das Historische wird über die Darstellung der Verarbeitungsmechanismen bis ins Jetzt gezogen - und einmal, etwas überzogen, in die Zukunft. Nämlich dann, wenn die Enkel, nun aus Monitoren, auf die Frage antworten: "Wie glaubst du, werden dich deine Enkel einmal beschreiben?" Hier, und nur hier, wird Staubs schöne Arbeit peinlich. Da hätten sich die Enkel verweigern sollen. (Helmut Ploebst/DER STANDARD, Printausgabe, 27. 5. 2009)