Prag - Tschechien steht vor einem monatelangen Dauerwahlkampf. Nicht einmal nach den Europawahlen sollen die Slogans der Parteien von den Werbeflächen verschwinden. Im Oktober wird nämlich mit vorgezogenen Parlamentswahlen gerechnet - eine Folge des Sturzes der Regierung des ehemaligen konservativen (ODS) Ministerpräsidenten Mirek Topolanek in einer Misstrauensabstimmung. Zwei so wichtige Abstimmungen im Abstand von nur vier Monaten hat das nördliche Nachbarland noch nie erlebt.

Zumindest die beiden Großparteien - ODS und Sozialdemokraten (CSSD) - setzen im EU-Wahlkampf voll auf Innenpolitik. Soziale Sicherheit, regelmäßige Erhöhung des Kindergeldes und des Mindestlohns, lauten etwa die Parolen der CSSD. Die Sozialdemokraten rufen die Wähler auf, eine "Rückkehr der ODS nicht zuzulassen". Die globale Wirtschaftskrise ist für die CSSD ein dankbares Thema: Topolanek, der ehemalige US-Präsident George W. Bush und der bisherige EP-Abgeordnete Jan Zahradil, der erneut kandidiert, blicken von einem großflächigen CSSD-Plakat herab - und darunter stehen die Sätze: "Die Wirtschaftskrise haben wir gemeinsam verursacht. Geben Sie uns erneut Ihre Stimme?"

"Lösung statt Erschrecken"

Auch die ODS drängt Europa-Themen in den Hintergrund. "Lösung statt Erschrecken" heißt die zentrale Parole der Konservativen. Als "Lösung" ist Topolanek in blauem Umfeld (Parteifarbe der ODS, Anm.) abgebildet, während unter "Erschrecken" das Gesicht des CSSD-Chefs Jiri Paroubek auf orange (Parteifarbe der CSSD, Anm.) Grund zu sehen ist. Auch den bevorstehenden 20. Jahrestag der "samtenen Revolution" nimmt die ODS gerne zu Hilfe. Die ODS-Politiker warnen die Wähler davor, dass ausgerechnet im heurigen Jubiläums-Jahr die CSSD erstmals seit 1989 den Kommunisten (KSCM) zur indirekten Beteiligung an der Macht verhelfen könnte.

Demgegenüber rücken die Kleinparteien die außenpolitischen und Europathemen in den Vordergrund. Nach einer längeren Pause wird in Tschechien das Thema der Benes-Dekrete, aufgrund derer die Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei vertrieben und enteignet wurden, erneut aufs Tapet gebracht. Beispielsweise warnt die Partei "Suverenita" ("Souveränität") mit der bisherigen EP-Abgeordneten und früheren TV-Moderatorin Jana Bobosikova davor, dass die Sudetendeutschen ihr einstiges Eigentum zurück bekommen könnten, falls der EU-Reformvertrag in Kraft tritt.

"Partei der freien Bürger"

Auf das Thema des Lissabon-Vertrages, das in Tschechien auf die Unterschrift des euroskeptischen Staatspräsidenten Vaclav Klaus wartet, setzen auch die tschechische Zweigstelle der Bewegung "Libertas" des EP-Abgeordneten und früheren Besitzers des TV-Kanals "Nova" Vladimir Zelezny und die "Partei der freien Bürger" (SSO), die von Mitarbeitern von Klaus ins Leben gerufen wurde. Demgegenüber wirbt eine andere Kleinpartei - die Liberalen - für die Abschaffung der Benes-Dekrete und die Bildung der "Vereinigten Staaten von Europa" nach dem Muster der USA.

Dass man sich auch nach dem Prinzip "Aus der Not eine Tugend machen" richten kann, zeigen die Grünen des ehemaligen Vizepremiers und Umweltministers Martin Bursik. Die junge Vizechefin der Partei und gleichzeitig die Lebensgefährtin Bursiks, Katerina Jacques, erklärt den Wählern mit Enthusiasmus, was "Biomasse" ist. Vor einigen Wochen hatte sie nämlich für eine Peinlichkeit in einer beliebten TV-Talkshow mit hoher Zuschauerquote gesorgt. Als Spitzenpolitikerin der Grünen wusste sie nicht, was man unter Biomasse versteht. Abzuwarten bleibt, inwieweit den Grünen der frühere Präsident Vaclav Havel hilft, der die Partei kürzlich öffentlich unterstützt hat.

Wahlkampf-Skandal

Unterdessen gibt es auch einen Wahlkampf-Skandal. Die außerparlamentarische rechtsextreme "Nationale Partei" sorgte dafür, indem sie in ihrem Wahlkampf-Spot, der im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen (CT) ausgestrahlt wurde, über die "Endlösung der Zigeuner-Frage" sprach. Nachdem der Spot zum ersten Mal ausgestrahlt worden war, ordnete der CT-Generaldirektor Jiri Janecek dessen Zurückziehung vom Bildschirm an, obwohl CT die Wahlspots aller zur Wahl registrierten Parteien laut Gesetz verpflichtend ausstrahlen muss. Die Regierung spricht von Rassismus und Schüren von Hass gegen Minderheiten.

Nur drei Parteien scheinen den Einzug ins Europaparlament sicher zu schaffen: ODS, CSSD und KSCM. Laut der jüngsten Wählerumfrage des Prager Meinungsforschungsinstituts STEM liegt die CSSD mit 24,2 Prozent an der Spitze, gefolgt von der ODS mit 20,9 Prozent. Die Kommunisten können mit neun Prozent rechnen. Die christdemokratische Volkspartei (KDU-CSL) des umstrittenen ehemaligen Vizepremiers Jiri Cunek liegt nur knapp über der fünfprozentigen Wahlhürde und die Grünen mit 3,1 Prozent fielen sogar darunter.

Die Meinungsforscher sind der Ansicht, dass im Kampf um die 22 tschechischen Sitze in Straßburg vieles von der Wahlbeteiligung abhängen werde. Je mehr Wähler kommen, desto besser für die CSSD. Und je weniger, desto besser für die ODS, sagen sie. 2004, als die Tschechen erstmals über die Zusammensetzung des Europaparlaments mit entschieden, lag die Wahlbeteiligung bei 28 Prozent. Heuer dürfte es nicht viel mehr sein, verlautete es aus den Instituten. (von Petr Senk/APA)