"Safran"  von Mark Rothko (1957) gehört zu den Lieblingsbildern von Albertina-Direktor Schröder in der Dauerausstellung: Es vermittelt Gefühle von Erhabenheit und Transzendenz

 

Foto: Albertina

Noldes "Mondnacht"  (1914) gehört zu Klaus Albrecht Schröders persönlichen Highlights: "Ein geradezu abstraktes Bild."

 

Foto: Preute,Vaduz

"Das nimmt der grafischen Sammlung überhaupt nichts weg, das fügt der Albertina nur einen Pfeiler hinzu." Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder wischt Befürchtungen, die Etablierung einer permanenten Schausammlung mit Malerei der klassischen Moderne bis heute könne künftig das traditionelle "Kerngeschäft" der Albertina - die Grafik - zur reinen Liebhaberei degradieren, energisch weg. "Wir machen weiterhin zwei bis drei ganz große Ausstellungen, 2010 etwa zu Michelangelo, deren Rückgrat - denken Sie an Das Zeitalter Rembrandts - diese grafische Sammlung ist."

Ab Freitag, 29.5., ist die Albertina nicht mehr ausschließlich die größte grafische Sammlung der Welt: Die international berühmte Kollektion ist dann vielmehr nur noch ein Teil eines Komplexes.

Das "moderne Museum" Albertina definiert sich nicht mehr nach Gattungen: "Die traditionellen Kategorien des 19. Jahrhunderts, welche die Kunst nach dem Material des Bildträgers eingeteilt haben, sind längst überholt" , erklärt Schröder. Im Mittelpunkt stehen nun Meisterwerke der Moderne vom Impressionismus bis heute.

Ein "Wendepunkt in der Geschichte der Albertina" , eines Museums, das "bis dato zu einem wechselnden Ausstellungsbetrieb verurteilt" war. Denn zum ersten Mal seit der Gründung der Albertina vor mehr als 200 Jahren präsentiert das Haus eine Dauerausstellung aus eigenen Beständen, eine reine Gemäldegalerie. Möglich gemacht hat das die Übergabe der Sammlung von Rita und Herbert Batliner 2007 an die Albertina - und damit an die Öffentlichkeit. Gute 95 bis 98 Prozent der 260 Werke, die nun dauerhaft und auf großzügigen 3000 Quadratmetern präsentiert werden, sind aus der Kollektion der Liechtensteiner, der Rest aus Beständen der Albertina, der Sammlung Forberg, der Klee-Schenkung von Carl Djerassi und anderen Privatsammlungen.

In lockeren Schritten kann man über ein Jahrhundert Malereigeschichte durchschreiten. Das gelingt gut, obwohl bei der neuen Sachlichkeit schon Lücken zu verzeichnen sind, räumt Schröder, der dem Standard einige seiner persönlichen Highlights zeigt, ein. Räumlich gesehen machen Claude Monets Seerosen den Anfang; den Schlusspunkt setzt eine Collage des Südafrikaners William Kentridges (Camera in Landscape), die 1994, als die Apartheid endete, entstand; dazwischen sind Österreicher von Herbert Brandl bis Arnulf Rainer eingeflochten. Monets Seerosenteich "ist sicher ein Hauptwerk - nicht nur der Sammlung Batliner, sondern der Malereigeschichte" , sagt Schröder.

Einzelne Lieblingsbilder herauszufiltern sei in den Sälen mit den Anfängen der Moderne schwer. Sie illustrieren ganze Bewegungen, die rasche "Aufeinanderfolge von einander widersprechenden, einander überholenden Ismen - vom Impressionismus, Expressionismus, Fauvismus, russischer Avantgarde, Surrealismus" . Zu den berührenden Gemälden zählt für Schröder jedenfalls Der Schimmel "Gazelle" des 14-jährigen Toulouse-Lautrecs. "Wenn man weiß, dass er durch einen Reitunfall zum Krüppel wurde, dann bemerkt man in diesem Zwiegespräch zwischen der Kreatur und dem Künstler die gegenseitige Entschuldigung."

Schröder zeigt dann auf ein Bild von Emil Nolde, das dieser 1914/15 auf einer Russland-Reise gemalt hat. "Ein einzigartiges Bild. Mondnacht hat eine strenge flächige Architektur - ein geradezu abstraktes Bild - und ist zugleich gesättigt mit dieser Lichtwahrnehmung des ostindischen Ozeans. Mich fasziniert das Äquilibrium zwischen dem Nachtlicht und der Abstraktion, der vollkommen radikalen Flächigkeit. Wie das spiegelnde Mondlicht sich in diesem Säulenstumpf verdichtet und die Barke diese Flächigkeit noch mal unterstreicht: Moderner war Nolde nie."

Im Saal mit der russischen Avantgarde streicht Schröder Kasimir Malewitschs Mann in suprematistischer Landschaft (um 1930/31) hervor. Das Dokument seiner Gefangenschaft dokumentiere auch einen unter dem Stalinismus geführten, ästhetischen Krieg zwischen Funktionalismus und gefordertem Realismus, "dem sich Malewitsch aber nicht beugt" .

"Allein wenn man die Bestände der russischen Avantgarde bedenkt - die Schausammlung könnte leicht das Doppelte an Fläche füllen. Auch bei der Pop-Art haben wir nur ganz kleine Ausschnitte ausgewählt. Der ganze Warhol wird nicht gezeigt, weil die Albertina für diese ganze Sammlung zu klein ist." Logisch, dass auch das Phänomen Picasso, ein Schwerpunkt in der Sammlung Batliner, nur extrem verdichtet - mit Beispielen aus allen Perioden - präsentiert werden kann.

Das Licht aus dem Nichts

Vor dem leuchtenden Gemälde Safran (1957) von Mark Rothko bleibt Schröder länger stehen: "Ich gehöre nicht zu denjenigen, die Mark Rothkos dunklen späten Arbeiten mögen. Wenn das Spätwerk nicht von seinem Selbstmord überschattet wäre, würde man meiner Meinung nach die dunklen Bilder nicht so hoch schätzen." Wirklich Hervorragendes habe Rothko zuvor geleistet: "Dieses Pulsieren eines Bildes so sehr in Farbe zu versinnbildlichen. Dieses Gefühl von Erhabenheit, Transzendenz und säkularisierter Religiosität."

Im 17. oder 18. Jahrhundert habe man solche Stimmungen nur durch die Motive des Abendmahls oder des Kreuzes erzielen können. "Das, was Barnett Newman und Mark Rothko so einmalig können" , fährt Schröder begeistert fort, "ist: den Gehalt alter transzendenter Kunst zu übersetzen."

Schröder präsentiert den Rothko mit einem frühen Gemälde Hermanns Nitschs - eine spannungsvolle Kombination: "Dieses Licht, das aus dem Nichts herauskommt, neben der Düsternis des Wiener Aktionismus!" Ein Bild, das die Direktorenseele aufatmen lässt? Schröder lacht bestätigend: "Der Rothko ist sogar ein Bild, das der Direktor der Albertina zehnmal lieber hat als der Sammler selbst. Aber bei dieser Arbeit haben viele ihm gesagt, er wäre verrückt, wenn er diese Chance nicht ergreift." Zum Glück hat er sie ergriffen. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.5.2009)