Berlin/Washington/Rom - Die Opel-Belegschaften können erstmals seit vielen Wochen wieder echte Hoffnung schöpfen: Kurz vor der für Montag erwarteten Insolvenz der US-Mutter General Motors (GM) steht ein Rettungsplan, der dem angeschlagenen Traditionshersteller nach 80 Jahren Zugehörigkeit zu GM das Überleben sichern soll. Geschnürt wurde das Paket in der Nacht zum Samstag in Berlin von Bund, vier Bundesländern sowie GM, dem Investor Magna und dem US-Finanzministerium. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die kurz vor der entscheidenden Runde mit US-Präsident Barack Obama telefonierte, sprach von einer "Perspektive für die Zukunft".
Die Beschäftigten hätten diese Chance verdient, betonte Merkel, weil das GM-Missmanagement und nicht die Beschäftigten die Schuld für die Opel-Krise hätten. Bei der Einigung sei für sie entscheidend gewesen, "dass die Risiken einer Alternative für mich politisch absolut nicht verantwortbar sind". GM-Europa-Chef Carl-Peter Forster sprach vom "Beginn einer neuen Zukunft für Opel". Nach seinen Worten ist Opel "im Moment absolut gerettet". Opel soll nun kurzfristig aus dem GM-Verbund herausgelöst werden. GM bleibt aber mit 35 Prozent an Opel beteiligt. 20 Prozent entfallen auf den österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna, 35 Prozent auf dessen russische Partner, den Autohersteller GAZ und die Sberbank. Weitere 10 Prozent übernehmen Händler und Mitarbeiter.
Standorte erhalten
Magna will alle vier deutschen Opel-Standorte erhalten. Das Konzept umfasst aber keine verbindlichen Absprachen zu den Arbeitsplätzen von Opel. Aus Regierungskreisen verlautete, eine Vereinbarung zur Job-Erhaltung hätte gegen EU-Recht verstoßen. Magna spreche in seinem Konzept von einem Abbau von 11.000 Arbeitsplätzen bei General Motors Europe. 2500 Stellen sollen demnach in Deutschland wegfallen, wo Opel bisher 26.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Wie viele Arbeitsplätze tatsächlich gefährdet sind, ist offen. Dies will Magna in den kommenden Wochen untersuchen. Sorge herrscht an den Standorten in Belgien und Großbritannien - in Antwerpen und in den Werken in Ellesmere Port und Luton. Britische Gewerkschaften dringen unterdessen auf die Sicherung von Vauxhall-Jobs.
Die IG Metall reagierte erleichtert: "Der Weg für eine gute Zukunft von Opel ist frei", sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft, Berthold Huber, in Frankfurt. "Mit Magna steigt ein Investor ein, dem die IG Metall zutraut, dieses Autounternehmen strategisch im Markt zu positionieren und damit Standorte und möglichst hohe Beschäftigung nachhaltig zu sichern." Die Opel-Belegschaft nahm die Einigung auf eine Rettung des angeschlagenen Autobauers ebenfalls mit Erleichterung auf. Betriebsratschef Klaus Franz rechnet aber damit, dass es einen Abbau von Arbeitsplätzen und Überkapazitäten geben werde.
Drei Bausteine
Das Konzept besteht nach Angaben des deutschen Finanzministers Peer Steinbrück aus drei Bausteinen: Ein Vorvertrag ("memorandum of understanding") zwischen GM und Magna, ein Treuhand-Vertrag, der in Kürze rechtswirksam umgesetzt werden müsse sowie ein Konsortialvertrag für den staatlichen Überbrückungskredit von 1,5 Milliarden Euro, der je zur Hälfte von Bund und den vier Ländern getragen wird. Die Zwischenfinanzierung solle binnen fünf Jahren in einen 4,5-Milliarden-Bürgschaftsrahmen übergeführt werden. Magna will laut Steinbrück kurzfristig benötigte 300 Millionen Euro in der nächsten Woche bereitstellen, ehe das Geld aus dem staatlichen Zwischenkredit fließt.
Merkel sagte mit Blick auf die von Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) diskutierte "Planinsolvenz" von Opel, die Risiken einer Alternative zu einem Rettungskonzept seien für sie "politisch absolut nicht verantwortbar". Steinbrück sagte zur dpa, nach langem Abwägen sei die Regierung in ihrer Gesamtheit zu der Auffassung gelangt, "dass wir die Eintrittswahrscheinlichkeit des Bürgschaftsfalles geringer einschätzen als umgekehrt das Durchschlagen dieser Risiken". Guttenberg bekräftigte am Samstag jedoch seine Zweifel an dem Rettungskonzept für Opel: Er sei zu einer anderen Risikoeinschätzung als seine Kollegen gekommen. Laut Merkel gibt es aber unterm Strich eine einheitliche Haltung der Bundesregierung.
"Größenvorteile"
Nach Einschätzung des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffers hat Opel nun die Chance, "Größenvorteile zu heben, die sonst nur bei großen, komplexen Unternehmen zu heben sind." Die hohe Kompetenz im Fahrzeugbau unterscheide Magna von Fiat, "die überwiegend in alten und unflexiblen Werken in Italien produzieren", so der Fachmann. Magna sei im Vergleich zu Fiat solide finanziert. Finanzielle Risiken seien gemieden worden. "Dies unterscheidet Magna ganz klar von Fiat". Der italienische Autohersteller, der Opel ebenfalls übernehmen wollte, war an dem letzten Spitzengespräch in Berlin nicht mehr beteiligt.
Der italienische Ökonom und Arbeitsmarktexperte Giuliano Cazzola vertrat die Ansicht, nicht das bessere Industriekonzept habe gewonnen, sondern jenes, das der Politik und den Gewerkschaften in Deutschland mehr entgegenkomme. Mit dem Geld, das die Magna-Gruppe durch ihren russischen Partner einbringe, könne Deutschland zumindest einen Teil der Sozialkosten tragen, die aus der Restrukturierung von Opel nach der Ablösung von General Motors resultieren würden.
Insolvenz
Unterdessen sind bei GM alle Weichen für eine Insolvenz gestellt. GM-Chef Fritz Henderson kündigte an, er werde sich am Montag in New York öffentlich äußern. Es wird erwartet, dass dann auch US-Präsident Barack Obama die "Blitz-Insolvenz" offiziell bekanntgeben wird. Die Einigung mit Opel sowie die Zustimmung der mächtigen Autogewerkschaft UAW#zu drastischen Einschnitten dürften eine Insolvenz erleichtern, hieß es am Samstag. Die Staatshilfen für GM werden insgesamt auf rund 50 Milliarden Dollar veranschlagt.
Das Weiße Haus signalisierte, dass es eine Insolvenz als letzte Überlebenschance für das Traditionsunternehmen ins Auge fasst. Das Beispiel des Autobauers Chrysler - der vor einem Monat in die Insolvenz ging - "ist ein hoffnungsvolles Beispiel für General Motors", sagte der Regierungssprecher Robert Gibbs am Freitag. Er sehe "ermutigende Zeichen" für GM. Das gerichtliche Gläubigerschutz-Verfahren wäre das größte seiner Art in der US-Geschichte. (APA/dpa/AP/Reuters/ANSA)