Wien - Für kulturpolitisch Korrekte mochten die beiden Konzertauftritte der Münchner Philharmoniker im Großen Musikvereinssaal wohl ziemlich starker Tobak gewesen sein. Eine solche Tonnage an Romantik, wie sie Christian Thielemann mit Werken von Schumann, dem Klavierkonzert von Grieg am ersten und mit Bruckners Achter am zweiten Abend mit geradezu hemdsärmeliger Hemmungslosigkeit auf das von Anfang an in heller Begeisterung jubilierende Publikum niederließ, ist hierzulande längst schon unüblich geworden.

Doch irgendwelche Pflichtstücke als obligatorischer Tribut an die Moderne sind nicht Thielemanns Bier. Das seine zapft er nämlich, von jeglichem diesbezüglichen Wohlverhalten unangefochten, mit sämigem Schaum aus der traditionsreichen Münchner philharmonischen Wohlklangsbrauerei. Und er kredenzt dieses so meisterhaft, dass diese beiden Konzerte, auch wenn sie gar nicht zum Musikprogramm der Festwochen gehörten, als dessen bisheriger Höhepunkt bezeichnet werden können.

Das Programm des ersten Abends hätte ohne weiteres auch von Oswald Kabasta, dem legendären Chef der Münchner während des Zweiten Weltkriegs, sein können oder auch von Wilhelm Furtwängler. Schon die beiden Werke von Schumann gaben den Münchnern, vor allem deren herrlich dunklen Streichern und dem weichen, aber trotzdem muskulösen Blech Gelegenheit, alle ihre tönenden Farben in voller Pracht aufschäumen zu lassen. Und in Griegs Klavierkonzert hat Rudolf Buchbinder dieses lukullische Geschehen als Solist mit fulminanter Präzision und höchstgradiger stilistischer Kompetenz nicht nur zum Jubel des Publikums, sondern auch mit viel Beifall des Orchesters und des Dirigenten mitgestaltet.

Zu Bruckners Achter hatten sich sogar der Herr Bundespräsident und der an seiner Seite sitzende Kardinal eingefunden. Ersterer mit einer gewissen Legitimation, hat Bruckner doch dieses Werk dem Kaiser Franz Joseph gewidmet. Letzterer vielleicht in der insgeheimen Erwartung, die interpretatorischen Mysterien, wie sie Sergiu Celibidache in seinen Bruckner-Interpretationen erstehen ließ, würden sich unter Thielemann wiederholen.

Sie wiederholten sich natürlich nicht. Denn Thielemann ist anders. Thielemann geht auf Nummer sicher. Er erlebt den Schaffensprozess eines Werkes nicht auf mitunter schmerzliche Weise neu, sondern er steuert von Anfang an ein ihm vertrautes Ergebnis an. Und diese Ergebnisse verdienen allen Respekt und mitunter auch restlose Bewunderung. Vor allem wenn er dynamische Kontraste wie auf Knopfdruck herstellt. Oder auch, wenn er die meditative Streicherruhe im Adagio weit ausschwingen lässt. Er kennt in dieser Achten jeden Winkel. Und dieses Orchester folgt seinen Anweisungen, als würde Bruckner persönlich an der Orgel in St. Florian die Register ziehen. Auch ein Mysterium: ein diesseitiges. (Peter Vujica, DER STANDARD/Printausgabe, 30./31.05. & 01.06.2009)