Als Europapolitiker darf Ernst Strasser als eine creatio ex nihilo Seiner Göttlichkeit Josef Pröll gelten. Naheliegend daher, dass der an der EU brennend interessierte Durchschnittsösterreicher mehr über ihn wissen will. Dazu haben ihm diese Woche zwei Publikationen verholfen. Die eine war ein längerer Word-Rap im "Falter", in dessen Verlauf Florian Klenk dem frisch geschlüpften Spitzenkandidaten unter anderem das Geständnis "Ja, ich habe interveniert" entlockte. Die andere war eine Art Foto-Rap in der "Ganzen Woche", wo es, entgeltlich eingeschaltet, hieß: Für Sie öffnet Ernst Strasser exklusiv sein Fotoalbum. Und was zeigte uns da Ernst Strasser? Einen Ernst Strasser, wie ihn alle mögen - eine in der Tat exklusive Eröffnung.
So etwas macht Appetit auf mehr. Durchsetzungsstark, sympathisch - ein Österreicher mit Herz und Verstand: Werfen Sie exklusiv mit uns einen Blick in das Fotoalbum von Ernst Strasser - und lernen Sie den schwarzen Europa-Spitzenpolitiker ganz persönlich kennen! Nun war der, laut Selbstbeschreibung, Österreicher mit Herz und Verstand noch keinen Tag seines Lebens Europa-Politiker, geschweige denn Europa-Spitzenpolitiker, aber was noch nicht ist, muss ja nicht werden. Warum auch, sagt er doch im "Falter": Ich bin für die einfachen Leute da, nicht für den Brüsseler Elfenbeinturm. Und diese Bodenständigkeit kann er auch beweisen: Wenn ein paar Diplomaten ein Problem damit haben, dass nicht mehr nur an feingedeckten Tischen mit Stoffservietten gesessen wird, sondern auch am Wirtshaustisch, dann nehme ich das hin.
Dass er nicht schwankt, wenn es gilt, zwischen Elfenbeinturm und Wirtshaustisch zu wählen, beweist er auch in seinem Fotoalbum. Der direkte Kontakt mit den Menschen fällt Ernst Strasser leicht: Er ist kein abgehobener "Bonze", sondern fühlt sich mitten im Leben der Menschen am wohlsten. Das hat er in seiner erfolgreichen politischen Laufbahn schon oft gezeigt - wie sonst hätte er es zum Europa-Spitzenpolitiker gebracht.
Eröffnungen wie diese wecken die Sehnsucht nach einem Politiker, der einmal ehrlich zugibt, ein abgehobener "Bonze" zu sein, dem der Aufenthalt mitten im Leben der Menschen als eine Zumutung erscheint. Das wäre erfrischend. Aber nicht mit ihm. Auf Du und Du mit Ernst Strasser: Vor allem die älteren Menschen schätzen es, wenn sich Strasser Zeit fürs gesellige Beisammensein nimmt, und sei es als Pflichtübung: hier in seiner Funktion als Präsident des NÖ Hilfswerkes.
Man kann nicht überall Präsident sein. Im "Falter" muss er einräumen: Die Auseinandersetzung mit der Caritas ist mir entglitten, er hat sie eine "unmenschliche Organisation" genannt. Aber das tut mir heute leid, schließlich ist Wahlkampf. Nur weil man von einem hohen Vertreter der Caritas ganz böse belogen wird, darf man nicht so reagieren, wenn man Europa-Spitzenpolitiker sein will.
Ihm ist jede Lüge fern. Als Innenminister hat Ernst Strasser viel für unsere Polizei getan. Mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger ist ihm ein Herzensanliegen. Im "Falter" gibt er es offen zu. Auf die Frage Haben Sie je für Parteifreunde interveniert? kann er nicht anders als: Sicher. Warum auch nicht? Er lebt ja nicht im Elfenbeinturm, sondern fragt einen Mitarbeiter, der einen falschen Parteigänger empfiehlt schon, ob er farbenblind sei. Heute, als Europa-Spitzenpolitiker, kann er auf die Diagnose Sie betreiben klassische Parteibuchwirtschaft nur antworten: Die ist doch lange vorbei! Und kommt man ihm mit seinen eigenen Mails, dann präsentiert er sein Fotoalbum, wo es heißt: Der richtige Ton, der richtige Takt. Wenn Ernst Strasser dirigiert, dann hat er alles fest im Griff. Wie in der Politik. In diesem Sinne hat er bei Florian Klenk auch seine Mails fest im Griff: Das sagen Sie, dass das meine Mails sind. Ich bin nicht die Polizei. Ich kann nicht beurteilen, ob es meine Mails sind. Als er noch im Elfenbeinturm der Polizei saß, hätte er es beurteilen können, heute, mitten im Leben der Menschen, kann er es nicht, weiß aber genau: entweder wurde das Amtsgeheimnis oder das Briefgeheimnis verletzt.
Was nur beweist: Auf seinen Handschlag ist Verlass: Viele Bürger schätzen am Europa-Spitzenkandidaten (ein kleiner Rabatt auf den Europa-Spitzenpolitiker) der Volkspartei, dass er sagt, was er meint. Und dass er hält, was er verspricht. Und das Beste an ihm: Auf Österreichs Natur- und Kulturlandschaft ist Ernst Strasser stolz. Der Stolz auf die Gegend, in der er sein Unwesen treibt, adelt den Österreicher. Der Mann ist zu schade für den Elfenbeinturm. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 30./31.5./1.6.2009)