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Der letzte Gartenzwerg flüchtet aus Angst vor Fremden und Fremdem aus dem Schrebergarten ins Häuschen, lässt die Jalousien herunter und verrammelt die Tür ... Wenn das so weitergeht, wird die Statistik Austria bald das Schrumpfen unseres Landes auf wenige Quadratkilometer bekanntgeben müssen. Ständige Abwehr von Neuem und anderem, Aufheizen von Ängsten aller Art. Österreich in der winzigen Garten_idylle, ohnmächtig dem Moloch EU ausgeliefert – so läuft derzeit die Europa-Debatte. Übrigens nicht erst im laufenden EP-Wahlkampf. – Es ist Zeit für einen neuen Sound: Raus aus Schrumpfenhausen! Europa, wir kommen!

Der 7. Juni ist der nächste Lostag, um der geistigen Verzwergung Österreichs entgegenzuwirken – mit Freude, mit Leidenschaft. Die Antwort der Bürger/-innen muss diesmal mit besonderer Klarheit ausfallen, denn es geht nicht nur um das Ansehen Österreichs als modernes Land, mit engagierten Menschen, auf der Höhe der Zeit. Es geht auch um unser Selbstbewusstsein, um unsere Orientierung in der Welt.

1995 ist Österreich mit realistischem Selbstwertgefühl und im Wissen um die besseren Chancen im großen Europa EU-Mitglied geworden. Die Welt geriet danach keineswegs aus den Fugen. Aber die Entwicklung des Global Village und die anhaltend-dramatische Wirtschaftskrise haben eindrucksvoll gezeigt, wie elementar wichtig es ist, nicht alleine zu stehen oder irgendwo im Abseits. Für die großen Probleme und Herausforderungen kann es nur europäische Lösungen geben, oder es wird eben keine geben. Das gilt für die Koordinierung der Konjunkturpolitik, die Etablierung einer funktionierenden Bankenaufsicht genauso wie für die Nachfolge des Kioto-Protokolls. Wer das Gegenteil behauptet, lebt auf dem Mond oder verdreht zynisch die Realität. Trauen wir uns! Österreich kann ein selbstbewusster und kreativer EU-Partner sein. Wir müssen es nur wollen. Es gibt keinen Lebensbereich, in dem Österreich nicht besonderes Wissen, spezifische Erfahrung oder Talente aufzuweisen hätte. Wir wissen aber auch, was ein Land alleine nicht schaffen kann. Wir schätzen den Wert der geistigen Auseinandersetzung mit unseren unmittelbaren Nachbarn und mit Europa als Ganzem. Durchlüften, nicht abschließen! Das ist die unverzichtbare Grundlage für die notwendige Weiterentwicklung unserer Heimat Österreich. Und wir wissen: Unser gemeinsames Europa ist das beste Bollwerk gegen Rassismus und Menschenverachtung. Die beste Garantie für das „Nie wieder“.

Die Debatte über die Zukunft der Europäischen Union und über Österreichs Zukunft in der Union, muss endlich geführt werden. Der Pawlow’sche Reflex: „Türkei nein“ genügt einfach nicht, er löst kein einziges konkretes Problem in Österreich. Es gibt längst kluge und realitätsnahe Modelle für eine notwendige und erwünschte Partnerschaft. Soll Österreich denn in einer Endlosschleife nationalistisch gefärbter Phobien verkümmern? Der „Stier Europa“ raubt der Jungfrau Österreich nicht die Seele! (Und sonst auch nichts.)

Überzogene Erwartungen an Europa gehen immer noch Hand in Hand mit eigenbrötlerischer Selbstüberschätzung. Die EU soll uns gratis und à la carte die beste aller Welten bieten, sich tunlichst aber „bei uns“ in Österreich nicht einmischen. Die EU wird nicht als Teil der Lösung gesehen, sondern in einem absurden Kopfstand zur Bedrohung verdreht. Auf dem Nährboden der Lust an der Selbstprovinzialisierung wuchern Abwehrreflexe und grantelnde Skepsis, täglich gedüngt von einem quasimächtigen Medium. Nach der Trennung von Kirche und Staat ist eines noch ausständig: die Trennung von „Krone“ und Staat.

Wer in einem großen Haus wohnt, der muss sich auch im ganz banalen Alltagsleben verantwortungsvoll einbringen. Welches Bild haben wir von Österreich in Europa? Wie sehen wir unsere Möglichkeiten im Kreis der 27? Wir entscheiden mit, wir gestalten mit. Dazu brauchen wir als solides Fundament auch in Österreich mehr europäisches Selbstwertgefühl. Nehmen wir uns ein Beispiel am noch viel kleineren Luxemburg, das höchst erfolgreich klipp und klar einen europäischen Kurs fährt. So wird man im Kreis der 27 Partner respektiert. Millionen Österreicherinnen und Österreicher leben es schon täglich vor: Sie wissen um den Mehrwert der Mehrsprachigkeit, der geistigen Bereicherung durch sachliche Auseinandersetzung mit dem vorläufig Fremden. Ihre Heimat ist ganz selbstverständlich ein selbstbewusstes, aber nicht auftrumpfendes Österreich in einem geeinten Europa.

Wie könnte dieses Europa in zehn oder zwanzig Jahren aussehen? Eine Freihandelszone nationaler Schneckenhäusler, oder ein ernstzunehmender Partner in der Welt? Reichlich Stoff für Diskussionen. Weichen wir diesen nicht aus, lassen wir uns nicht zu geistigen Bonsais beschneiden! Nationalistische Fürchtegerns gibt es in allen EU-Ländern schon genug. Höchste Zeit, ihnen nicht das Feld zu überlassen. Daher: Raus aus dem Käfig der Angstmacher! Rein in das Wagnis Zukunft, in das Hirn– und Herzprojekt Europa! Auf zur Wahl am 7. Juni! (Ursula Plassnik, Alexander Van der Bellen, DER STANDARD, Printausgabe, 30.5.2009)