Unter dem Druck der öffentlichen Meinung müssen 18 katholische Ordensgemeinschaften in Irland nun erstmals ihre Finanzverhältnisse offenlegen. Diese beispiel_lose Offenbarung ist eine der Folgen der Enthüllungen über den jahrzehntelangen systematischen Missbrauch zehntausender von Kindern in katholischen Institutionen auf der grünen Insel: Die Kinder waren Vergewaltigungen und Misshandlungen ausgesetzt gewesen und hatten Akkordarbeit leisten müssen.

Der mehr als 2300 Seiten starke Bericht einer unabhängigen Kommission über die Missstände ist mittlerweile ein Bestseller, die Medien sind voll von Diskussionsbeiträgen - und Regierungschef Brian Cowen macht nun Druck auf die beschuldigten Orden.

Am Freitag ließ sich Papst Benedikt XVI. persönlich über die Lage berichten. Der Heilige Vater sei „sehr bekümmert" gewesen, sagte der Dubliner Erzbischof Diarmuid Martin nach der Audienz im Vatikan. Eine offizielle Stellungnahme hat der Vatikan allerdings bisher stets abgelehnt. Man begründete dies mit dem Hinweis darauf, es handle sich hier um eine „Angelegenheit der örtlichen Kirche".

Krisenmanagement

In Irland suchen Premierminister Cowen und seine zuständigen Minister einstweilen nach Wegen aus der Krise. In getrennten Gesprächen mit Vertretern mehrerer Opferorganisationen sowie den Chefs der betroffenen Orden ging es um die Frage, wie viel die katholischen Einrichtungen zu einem staatlichen Entschädigungsfonds in Höhe von 1,3 Milliarden Euro beisteuern sollen. Die Ordensvertreter hatten lange auf einen Deal aus dem Jahr 2002 gepocht, der ihren Beitrag zu diesem Entschädigungstopf auf vergleichsweise bescheidene 127 Mio Euro begrenzte. Mittlerweile sprechen viele Politiker aber von einem kirchlichen Anteil von 50 Prozent.

In der öffentlichen Diskussion stehen aber auch die hartnäckigen Sabotageversuche, mit denen die Orden, angeführt von den Chris_tian Brothers, einer tiefgreifenden Aufklärung der Übergriffe bisher im Weg standen. Der jetzt veröffentlichte Bericht des Richters Sean Ryan nennt keine Namen, erschwert also die gerichtliche Aufarbeitung individueller Fälle - ein Erfolg der Ordenstaktik, die bis zuletzt auf Leugnen, Verschweigen und Verhindern setzte.
Doch nun mahnte Erzbischof Martin die Glaubensgeschwister öffentlich zur Einsicht: „Eure Glaubwürdigkeit und das Überleben eures Ethos hängen von der Ehrlichkeit ab, mit der ihr die schmerzhafte Aufgabe der Aufklärung in Angriff nehmt." Die Kommission hat in neunjähriger Arbeit Missbrauchsfälle von der Gründung des irischen Freistaates 1937 bis in die Neunzigerjahre hinein analysiert. Die meisten Verbrechen ereigneten sich zwischen 1940 und 1970 an Menschen, die heute zwischen 50 und 80 Jahren alt sind.

Über 3000 Opfer hatten sich gemeldet, die Anschuldigungen bezogen sich auf 216 Institutionen im ganzen Land. Rund 30.000 Kinder wurden in Kinderheimen und sogenannten „Arbeitsschulen" immer wieder verprügelt, vergewaltigt und gedemütigt. In zwei Arbeitsschulen in Dublin und der nordwestlichen Grafschaft Donegal, beide geleitet von Christian Brothers, habe es „endemischen", also systematischen sexuellen Missbrauch gegeben. 

Jahrzehntelang gewährte das Bildungsministerium den Einrichtungen großzügige Subventionen, damit die sozial Schwachen versorgt waren. Weder Staat noch Kirche gingen immer wieder auftauchenden Missbrauchsberichten gründlich nach - und wurden so zu schweigenden Komplizen. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD; Printausgabe, 8.6.2009)