"90 Prozent der Auslastung von Netzwerken werden künftig von Video kommen", sagt Cisco-Chef John Chambers. Aufgenommen zum Beispiel auf simplen Videokameras wie der kleinen Flip.

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Seit vielen Jahren sollen "im Wohnzimmer", wie PR und Marketing den Tatort gerne nennen, die Welt von Fernsehen, Radio und Stereoanlage mit der Welt von PC und Internet zusammenwachsen. Aber für die großen Namen, von Apple und Microsoft bis Sony und Samsung, ist das Wohnzimmer bisher eine einzige Niederlage. Angebote, um Musik oder Video überall in einem Haushalt abspielen zu können, bleiben technischen Avantgardisten vorbehalten, während die überwältigende Mehrheit bei bewährten Medien wie CD, DVD und dem ganz normalen TV-Programm bleiben.

Ein wesentliches neues Geschäftsfeld

Das schreckt Cisco, das sich seinen guten Namen als Lieferant von Netzwerk-Infrastruktur machte, nicht davon ab, Unterhaltungselektronik als wesentliches neues Geschäftsfeld zu sehen. Aber nicht nur als Hersteller von Geräten, erklärte Cisco-Chef John Chambers vor kurzem auf eine Frage des Standard, obwohl sich durch Firmenzukäufe einiges zusammen-geläppert hat: zuletzt Flip, die simpel zu bedienende hochauf- lösende Videokamera des Start-ups Pure Digital, davor Scientific- Atlanta, deren Settop-Boxen für TV den US-Markt dominieren. Linksys, das in Haushalten und Kleinbüros für WiFi-Netze sorgt. Und bald eigene Produkte, um Musik und Video im Heim drahtlos an jede erwünschte Stelle zu über- tragen. Es sind jedoch nicht die Einzelteile, die Cisco interessieren, sondern "die Architektur", sagt Chambers. Ein Fundament für diese Architektur sei in vielen Haushalten schon vorhanden, die TV-Settop-Box, die "netzwerken, rechnen und speichern kann" und die zum Hub, zur Drehscheibe für Medien und Geräte aller Art werden soll. "Wir sind mit einer großen Vision in den Consumerbereich eingestiegen, und wir setzen sie jetzt in kleinen Schritten um", erklärt Chambers. Dazu gehöre auch der Kauf von Flipda Video sowohl in Unternehmen als auch im Heim die "Killer App" sei.

Videos für Netzwerkauslastung

"90 Prozent der Auslastung von Netzwerken werden künftig von Video kommen" - was Ciscos Kerngeschäft weiter steigert. Hinter der Expansion zu einem "Leader im Consumer Segment" stehen zwei Prinzipien, erklärt der Cisco-Chef: Marktveränderungen rechtzeitig zu erkennen - und in "Nachbarmärkte" zu expandieren. Die technologische Plattform für Haushalte sei nicht so anders als bei Unternehmen: Ein Netzwerk, vielfältige Endgeräte und Daten, die an unterschiedlichsten Orten gespeichert sind und bei Bedarf überall abgespielt werden können. Videokonferenzen zu Hause Aber die Hürde ist enorm.

Nutzung soll vereinfacht werden

"Man muss zwar kein Raketenwissenschafter sein, um derzeit vorhandene Angebote für das Heim zu benutzen, aber es hilft", kommentiert Ciscos Europachef Chris Dedicoat vorhandene Heimunterhaltungs-Angebote für Endverbraucher. "Wir werden uns stark darauf konzentrieren, es leicht zu machen, ein Heimnetz zu errichten und zu betreiben", sagt Dedicoat. Pure Digital CEO Jonathan Kaplan, der mit der Flip sein Talent für einfache Lösungen bewiesen hat, zeichnet darum für Ciscos Consumer Division verantwortlich. Auch Ciscos Videoflagschiff Telepresence, das lebensnahe hochauflösende Videokonferenzen ermöglicht, soll innerhalb eines Jahres im Heim ankommen, sagt Chambers.

Infrastrukturen anpassen

Auch hier geht es weniger um Hardware - HD-TV-Schirme sind in vielen Haushalten installiert, Flips HD-Videokamera kann man sich gut als Ergänzung vorstellen - als um die Architektur, um Konferenzschaltungen zwischen Großeltern und Enkeln in zwei Haushalten so einfach herzustellen wie ein Telefonat. Umsetzen will Cisco dies mit Telekompartnern. Die Provider müssten bereits jetzt ihre Infrastruktur für Video aufrüsten. In Großbritannien verbrauche BBC iPlayer, das à la carte Fernsehprogramm der BBC, 20 Prozent der Netzkapazität, mit HD wird das gigantisch steigen. "Aber Provider können daraus keinen finanziellen Nutzen ziehen. Services wie Telepresence geben ihnen hingegen eine neue Einkommensquelle", sagt Dedicoat.(Helmut Spudich/DER STANDARD, Printausgabe vom 9.6.2009)