Berlin - Nach den überraschenden Fortschritten bei den atomaren Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Russland könnte auch die konventionelle Rüstungskontrolle ein Comeback erleben. Unter so guten Vorzeichen wie schon lange nicht mehr beraten Gesandte aus 45 Staaten noch bis Mittwoch in Berlin über die Zukunft des seit Jahren blockierten KSE-Vertrages. Nach Einschätzung der deutschen Bundesregierung könnte es dabei gelingen, neuen Schwung in die Verhandlungen zu bringen.

Russland habe Interesse an Fortschritten signalisiert, heißt es in diplomatischen Kreisen. Es sei zwar völlig offen, ob sich dies am Ende auch in einer Annäherung niederschlagen werde. Aber immerhin säßen in Berlin alle wichtigen Akteure an einem Tisch, so dass sich die Kompromissbereitschaft ausloten lasse. Das informelle Treffen geht auf eine Initiative des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier zurück, auf dessen Moskau-Reise am Mittwoch Abrüstung ebenfalls ein Thema ist.

Verfeindeten Blöcke

Das Abkommen über die Konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) von 1990 ist Grundpfeiler der europäischen Rüstungskontrolle. Ziel war es, das große Ungleichgewicht zwischen den Armeen der Nato und des Warschauer Paktes abzubauen und die Gefahr von Überraschungsangriffen in Europa zu bannen. Über 60.000 Panzer, Geschütze und Kampfflugzeuge entfernten die ehemals verfeindeten Blöcke unter dem KSE-Vertrag aus ihren Arsenalen zwischen der Atlantikküste und dem Ural.

Eine Anpassung des Abkommens an die Zeit nach dem Kalten Krieg und die Auflösung der Sowjetunion scheiterte später jedoch am Streit mit Russland. Zwar wurde ein Zusatzabkommen 1999 in Istanbul verabschiedet, dessen Ratifizierung stockt allerdings. Etliche Nato-Staaten fordern zunächst den vollständigen Abzug der russischen Truppen aus Georgien und Moldawien. Russland selbst hat das Zusatzabkommen zwar bereits ratifiziert, setzte den kompletten KSE-Vertrag 2007 jedoch im Streit über die US-Pläne zur Errichtung einer Raketenabwehr in Osteuropa aus.

Unter dem neuen US-Präsidenten Barack Obama scheinen die USA nicht mehr ganz so hart an dem umstrittenen Raketenschirm zu arbeiten. Die horrenden Ausgaben wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise dürften neben dem Wechsel im Weißen Haus dazu beigetragen haben. Und der Georgien-Krieg hat dem Westen vor Augen geführt, dass militärische Auseinandersetzungen auch im 21. Jahrhundert eine reale Bedrohung für den Frieden in Europa darstellen. All dies dürfte die die Kompromissbereitschaft der westlichen Staaten bei den KSE-Gesprächen steigern.

Neue Herausforderung

Selbst wenn es in den Gesprächen vorangehen sollte, werden die KSE-Staaten allerdings rasch vor einer neuen Herausforderung stehen: die Technologie hat sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt, so dass sich einige der Grundannahmen selbst für das zehn Jahre alte Anpassungsabkommen geändert haben. Die Verhandlungen über einen neuen Vertrag, der das KSE-Abkommen dann tatsächlich ins 21. Jahrhundert katapultiert, könnten also gleich weitergehen.

Vorher geht es aber erst einmal um Fortschritte in der atomaren Abrüstung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass US-Präsident Barack Obama und sein russischer Kollege Dmitri Medwedew schon bei ihrem Gipfel im Juli in Moskau eine Rahmenvereinbarung über ein Nachfolgeabkommen für den START-Vertrag zur Verringerung der strategischen Atomwaffen schließen. (APA/Reuters)