Der niederländische Wettbewerbshüter Peter Kalbfleisch ist von der Wirkung hoher Strafen gegen Kartellsünder überzeugt.

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Rund 400 Menschen arbeiten in der niederländischen Wettbewerbsbehörde NMa - im Verhältnis zur Bevölkerungszahl von 16 Millionen eine der stärksten in Europa. Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde kann mit 31 Mitarbeitern hier nicht mithalten. Auch dank Nellie Kroes als beinharte EU-Wettbewerbskommissarin gelten die Niederlande heute als Europas Sturmspitze gegen Kartelle und Marktbeherrschung.

Aber auch dort war der Weg zu einer schlagkräftigen Behörde steinig, berichtet der NMa-Chef Peter Kalbfleisch im Standard-Interview. Erst 1998 wurde die Kartellbehörde gegründet und ein Wettbewerbsrecht abseits des Strafrechts eingeführt. "Es dauerte einige Jahre, bis die ersten Fälle auftraten, und jeder schien damals erstaunt, dass es überhaupt Kartelle gibt und diese so viel Schaden anrichten", sagt Kalbfleisch, der der NMa seit 2003 vorsitzt und für einen Vortrag bei der BWB nach Wien kam. Vor allem mit einer Kampagne gegen mächtige Baukartelle hätte sich die NMa den Ruf erworben, ernsthaft für Verbraucherinteressen zu kämpfen. "Da sahen Bürger und Politiker, dass unsere Arbeit sich wirklich auszahlt."

Politische Debatte

Derzeit hat die Behörde den privatisierten Gesundheitssektor im Visier, in dem es Probleme mit Preisabsprachen gebe. Als die erste Strafe von neun Mio. Euro gegen ein Gesundheitsunternehmen erlassen wurde "war das ein richtiger Schock", sagt Kalbfleisch, "das hat eine politische Debatte ausgelöst, die immer noch nicht zu Ende ist."

Anders als die österreichische Behörde fungiert die NMa auch als Kartellgericht erster Instanz und kann selbst Strafen erlassen - ein Recht, auf das Kalbfleisch keinesfalls verzichten möchte. "Chinesische Mauern" zwischen Anklageabteilungen würden eine faire Judikatur gewährleisten. Bei 30 Prozent der untersuchten Fälle komme es gar nicht zu einem Gerichtsverfahren, und in einigen Fällen hätte das Richtergremium, dem Kalbfleisch vorsitzt, gegen die eigenen Beamten entschieden.

"Prominente Fälle verloren"

In Berufungsverfahren wurden 2006 37 Prozent der Entscheidungen von den höheren Instanzen umgedreht. "Wir haben einige prominente Fälle verloren, danach mussten wir uns mehr anstrengen." Im Vorjahr wurden bereits 82 Prozent der Urteile bestätigt.

Anders als beim deutschen Bundeskartellamt ist das Entscheidungskriterium der NMa der Schaden für Konsumenten, nicht das Vorhandensein von Marktbeherrschung an sich. "Wenn wir trotz fehlendem Wettbewerb keinen Schaden feststellen können, dann scheitert das Verfahren" , sagt Kalbfleisch. Dieser angelsächsische Zugang werde auch immer mehr in der EU-Kommission verfolgt, aber die Kommission müsse einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Wettbewerbsphilosophien der Mitgliedsstaaten finden.

Die Wirtschaftskrise, in der Unternehmen ums Überleben kämpfen, dürfe den Kampf gegen Kartelle nicht schwächen, warnt Kalbfleisch. "Wir müssen die Lehren aus der Vergangenheit ziehen und dürfen bei der Wettbewerbsdurchsetzung nicht nachlassen. Das wäre die schlechteste Lösung. Aber wir müssen auch pragmatisch und innovativ sein." So könnte man Maßnahmen zur Heilung flexibler gestalten, um Unternehmen nicht in ihrer Existenz zu gefährden.

Konzentration im Bankensektor

Kalbfleisch fürchtet besonders die wachsende Konzentration im Bankensektor, wo die Finanzkrise riesige Übernahmen erzwungen hat: "Wir müssen die Fusionskontrollen beibehalten und brauchen nun mehr Aufsicht auf der europäischen Ebene. Da die Großbanken mit der Zeit größer werden, gibt es mehr Bedarf an europäischer Wettbewerbskontrolle."

Kalbfleisch ist zuversichtlich, dass der Kampf gegen Kartelle und vor allem die hohe Strafen Wirkung zeigen. "Es gibt vieles, was wir nicht wissen, und dagegen können wir nichts tun. Aber wir machen Boden gut, und jede Strafe gegen einen Sektor schreckt auch in anderen Branchen ab." (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.6.2009)