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Zu viel Krampf statt Kampf für das Projekt Europa: Hannes Swoboda beim Versuch, politische Glaubwürdigkeit zu vermitteln.

APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER

Die Niederlage für die SPE bei den Wahlen zum Europa-Parlament hat, abgesehen von innenpolitischen Spezifika, vor allem zwei Gründe. Nach 20 Jahren Koketterie mit dem Neoliberalismus fehlt es an Wirtschaftskompetenz einerseits und an Glaubwürdigkeit bezüglich eines Kurswechsels andererseits. Progressive Vorstellungen über die Organisation der sozialen Marktwirtschaft sind nur noch marginalisiert in der innerparteilichen Opposition vorhanden. Die Führungsebene der europäischen Sozialdemokratie hat jene Deregulierungspolitik, die zur Krise führte, selbst mitgetragen. Sie kann den Menschen nicht von heute auf morgen eine Alternative zum Wirtschaftsliberalismus glaubhaft vermitteln, weil sie keine hat.

Provinzielle Wahlkampagne

Das spürt die Bevölkerung und wählt jene Parteien, die zumindest mit dem Thema Wirtschaft assoziiert werden, wie der Wahlsieg der Konservativen beweist. Die Zündler werden zur Feuerwehr gemacht, weil die Menschen sich politisch nicht orientieren können. Die Sozialdemokratie hat die dazu notwendigen Ecken und Kanten längst geschliffen.

Dabei müsste die Schaffung einer Sozialunion das prioritäre Kampffeld der SPE sein. Jede nationale Lohnerhöhung und jede progressive Steuer kann ein Wettbewerbsnachteil gegenüber jenen Ländern bedeuten, die einen gegenteiligen Kurs fahren. Bei gesamteuropäischen Mindeststeuersätzen, einer gemeinsamen Devisentransaktionssteuer oder im Falle koordinierter Lohnverhandlungen vermindert sich diese Problematik schlagartig. Europa ist der völlig unterschätzte Schlüssel im Kampf für eine soziale und demokratische Gesellschaft.

Die SPÖ streifte mit ihrer Wahlkampagne immer wieder am ersten Gebot des Provinzialismus an: "In der EU das Beste für Österreich herausholen". Dabei müsste man laut sagen, dass das Beste für Europa auch das Beste für Österreich ist. Die Absenz einer positiven Vision für Europa ist der zweite Grund für das desaströse Wahlergebnis. Der Grundstein für eine "Eurovision" wäre die Betonung der europäischen Wertegemeinschaft. Es gibt so etwas wie einen kontinentalen Konsens, der viele Menschen weltanschaulich zusammenhält und identitätsstiftend wirkt. Teile dieses Konsenses sind in manchen Regionen des Kontinents weniger stark ausgeprägt, und einzelne Regierungen mögen gelegentlich daraus ausbrechen, aber im Großen und Ganzen kann man sich in Europa auf die folgenden Grundhaltungen verlassen:

Die Betonung der Menschenrechte: Die Europäische Menschenrechtskonvention ist für alle Mitglieder des Europarates verbindlich, zusätzlich haben sich sämtliche EU-Staaten dem Internationalen Strafgerichtshof der Vereinten Nationen unterworfen. Eine Behörde, die von den USA offen boykottiert wird. Der Konsens zwischen Linken, Liberalen und Christen gegen die Todesstrafe ist absolut wasserdicht, auch die in den Vereinigten Staaten heftig geführte Folterdebatte stößt in Europa ebenso auf Fassungslosigkeit wie Guantánamo.

Oder die Trennung von Staat und Kirche: Während Barack Obama regelmäßig öffentlich um Gottes Segen bittet, ist dies in Europa ein "No-go". Eine Konfrontation zwischen Abend- und Morgenland, wie sie von rechten Kreisen herbeigeredet wird, gibt es nicht. Wenn, dann besteht eine Konfrontation zwischen einer säkularisierten europäischen Gesellschaft und den fundamentalistischen Kräften sämtlicher Religionen. Im Gegensatz zu vielen anderen Regionen der Erde ist die politische Religiosität in Europa bedeutungslos.

Sozialstaat stärken

Schlussendlich das Bekenntnis zum Sozialstaat: Dieser Konsens hat in den vergangenen Jahre gelitten. Während es etwa unter Rot-Grün in Deutschland zu einem massiven Rückbau kam, gab es auch Regionen wie Skandinavien, in denen der Sozialstaat neue erfolgreiche Wege fand. Das europäische Wohlfahrtsstaatsmodell wurde zurückgedrängt, ist aber in den meisten Ländern weit davon entfernt, auf US-Verhältnisse abzusacken.

Keine aggressive Außenpolitik: Frei von jeder Ahnung bezüglich Kultur und Geschichte des Landes, einen Staat militärisch unterwerfen? Dieses Cowboy-Abenteuer haben zwar einzelne europäische Regierungen mitgetragen, doch wurde der Irakkrieg auch von der Mehrheit der Bevölkerung Großbritanniens oder Spaniens stets abgelehnt. Ebenso setzt Europa gegenüber anderen "Schurkenstaaten" auf Diplomatie.

Integration vertiefen

Gerade die Sozialdemokratie kann mit diesem faktischen, wenn auch institutionell nicht fixierten Grundkonsens der Union gut leben. Umso mehr sollte sie nicht müde werden zu betonen, dass Europa nicht nur ein Wirtschaftsprojekt, sondern vor allem eine Wertegemeinschaft ist. Darauf aufbauend ist eine weitere Integration des Kontinents in Richtung dessen, was der Leider-nicht-mehr-EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber die "Europäische Demokratie" nannte, absolut wünschenswert. Etwa die Einbindung des europäischen Parlaments in alle Entscheidungen der Union sowie die Schaffung eines europäischen Listenwahlrechts.

Eine Vision auf längere Sicht wäre die vollständige Übertragung der Europaagenden von den nationalen Politfürsten auf eine europäische Legislative und die EU-Kommission als Exekutive. Gesetze würden von einem europäischen Zweikammernparlament beschlossen, wobei der aktuell aus Ministern bestehende Rat in eine direkt gewählte Kammer der Nationalstaaten umgewandelt würde. Die Kommission würde vom Parlament gewählt und wäre nur diesem gegenüber verantwortlich.

Diese Transformation könnte die komplizierte und demokratisch fragwürdige aktuelle Konstruktion ersetzen und Europa endlich handlungsfähig machen. Besser ein föderaler Staatenbund als ein zentralistischer Bundesstaat.

Es soll offen ausgesprochen werden, dass das Ziel der europäischen Integration à la longue der Zusammenschluss zu den Vereinigten Staaten von Europa ist. Im Sinne des EU-Wahlspruchs "In Vielfalt geeint" sollte versucht werden, die kulturelle Buntheit zu erhalten und der Bevölkerung zu vermitteln, über welch unfassbaren Reichtum sie damit verfügt. Wenn die Menschen eine Liebesbeziehung zu dieser Vielfalt, basierend auf gemeinsamen Werten, aufbauen können, dann hat die europäische Idee gewonnen. (Nikolaus Kowall, DER STANDARD-Printausgabe, 10.6.2009)