Dass es sich bei der österreichischen Seele um eine, auch im internationalen Vergleich, eher betrübliche Emanation handelt, erschließt sich aus vielen Erzeugnissen der älteren wie der neueren Literatur des Landes, wurde vor einigen Jahrzehnten von dem Seelenforscher Ringel auch ans Licht einer literarisch inaktiven Öffentlichkeit gebracht und kürzlich in der Langzeitstudie "Die Österreicher innen" neuerlich dargelegt. In dieser wurde das Gefühl von Peinlichkeit, das sich allein bei dem Gedanken einstellt, "die Österreicher" innen betrachten zu sollen, deutlicher bestätigt, als einem gesunden Patriotismus zumutbar ist. Das Bild deckt sich - nicht so überraschend wie es manchen erschien - mit dem der Österreicher außen, woran seit vielen Jahren Manfred Deix akribisch forscht, ohne dass die dabei an den Tag gekommenen Ergebnisse einen spürbaren Strukturwandel des öffentlichen Erscheinungsbildes bewirkt hätten.

Seit 1990 habe sich die Unzufriedenheit mit der Demokratie, wie sie hier praktiziert wird, verdoppelt, verrät die Studie, ein Fünftel bereits kann sich einen starken Mann vorstellen, der sich nicht um Wahlen und Parlament kümmern muss, die Ausländerfeindlichkeit wächst, und das Vertrauen in die Institutionen sinkt. So unerfreulich das alles ist, lässt einiges davon doch eher auf einen von täglich erfahrener Politik desillusionierten Realismus schließen als auf den Wandel eines österreichischen Innenlebens, das dem autoritären Charakter traditionell zuneigt.

Sich einen starken Mann, unabhängig von Wahlen und Parlament, "vorstellen" zu können, ist wahrscheinlich weniger die Sehnsucht nach einem solchen, als das Bedürfnis nach demokratischen Führungspersönlichkeiten, die ihre Ziele klar artikulieren und sie parlamentarisch korrekt durchzusetzen versuchen, statt die Demokratie durch ständiges Schielen nach dem Boulevard zu unterminieren. Dafür, dass auch schwache Politiker sich weniger um Wahlen zu kümmern brauchen, haben übrigens die aller Parteien mit der diskussionslosen Verlängerung der Legislaturperiode gesorgt. Liegt es - unter anderem - vielleicht daran, dass nur noch 14 Prozent der Österreicher der "herkömmlichen" Politik vertrauen?

Der Anteil der Menschen, die ihr Leben nur noch "materialistisch" ausrichten, hat sich laut Studie auf 28 Prozent verdreifacht. Bei deren Materialismus handelt es sich aber um keinen dialektischen, sondern um jenen neoliberalen, der in den letzten Jahren auch hierzulande als Ausfluss höchster ökonomischer Weisheit und moralischer Integrität gepredigt wurde. Wer eine Gesellschaft der Ellbogenstärke und Spekulation predigt, braucht sich nicht zu wundern, wenn das Gemeinschaftsgefühl sinkt. Auch besser gebildete Mittelständler fühlen sich unglücklich. Ist es die Angst, in der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich zu verschwinden? Dabei halten drei Viertel der Befragten geringe Einkommensunterschiede für ein erstrebenswertes gesellschaftliches Ziel. Vielleicht sieht es im Innenleben der Östereicher gar nicht so schlecht aus. Sie wurden nur von den Parteien, die sie im letzten Jahrzehnt regierten, ziemlich alleingelassen. (Günter Traxler/DER STANDARD-Printausgabe, 19. Juni 2009)