Bild nicht mehr verfügbar.

Mit fünfjähriger Verspätung hat das neue Museum seine Pforten geöffnet, es zeigt über 350 Skulpturen und Artefakte.

Foto: AP Photo/Petros Giannakouris

Der Parthenon-Fries könnte weitgehend vervollständigt werden, würde das British Museum die Originale retournieren.

Foto: Nikos Daniilidis

In London befinden sich etliche Originale. Aber es gibt auch Stimmen, die das im Sinne eines Welterbes ganz in Ordnung finden.

Einen Moment lang dachte man, der griechische Kulturminister Antonis Samaras würde den 2500 Jahre alten Marmorkopf der Göttin Iris fallen lassen. Dann konnte er ihn doch in das Relief einpassen, das damit wieder vollständig wurde. Dieser kleine Coup war der emotionale Höhepunkt der Eröffnung des neuen Akropolis-Museums in Athen. Der große soll irgendwann folgen, dann nämlich, wenn Großbritannien, beziehungsweise das British Museum in London, die 56 Marmorplatten des Parthenon-Frieses zurückgibt, damit sie mit den rund 40 Platten vereint werden können, die jetzt im neuen Akropolis-Museum ausgestellt sind.

Dafür wurde das Museum um 130 Millionen Euro nämlich gebaut. Um, wie sich der Kulturminister ausdrückte, die "Entführung der Skulpturen", die "im British Museum als Geiseln gehalten werden", moralisch zu erzwingen. Der Kopf der Iris, der von einem Museum in Italien zurückgegeben wurde, soll nur ein Anfang sein.

Oder, wie der Direktor des Museums, Dimitris Pandermalis, in milder Gelehrtenmanier meint, damit "das Parthenon zum zweiten Mal geboren wird. Die Erzählung des Frieses muss vollständig werden. Wir überlassen der internationalen Gemeinschaft die Entscheidung." Vor rund 200 Jahren, 1801, erwirkte der schottische Lord Elgin, Botschafter beim Sultan in Istanbul, die Erlaubnis, von einer Ruine auf einem Felsen in einem unter türkischer Besatzung heruntergekommenen Kaff namens Athen dutzende Platten mit Marmorreliefs abzumontieren. Heute zeigt das British Museum wenig Lust, die Stücke nach Athen zurückzugeben, selbst wenn sie juristisch in seinem Besitz blieben.

In Athen hat man sich deshalb eine effektvolle Zwischenlösung einfallen lassen. Das neue Museum steht am Fuße der Akropolis, in unmittelbarer Nähe eines archäologischen Parks, den man auf dem Weg von der Akropolis hinunter durchquert. Durch die Glaswand des Museums hat man direkten Blick auf den (abends beleuchteten) Parthenon.

Im obersten, dem dritten Stockwerk des neuen Akropolis-Museums, wurde (in denselben Maßen wie im Parthenon selbst) ein Rechteck aus Wänden errichtet und daran der Parthenon-Fries in der ursprünglichen Abfolge eingerichtet.

Dabei wechseln sich die im griechischen Besitz verbliebenen gelblichen Originale und die blendend weißen Gipskopien ab, die das British Museum schon vor längerer Zeit großzügig zur Verfügung stellte. So kann man nun den Fries, also jene 80 Prozent, die überhaupt erhalten sind, komplett sehen. Und zwar in Augenhöhe, nicht in zwölf Meter Höhe wie beim Parthenon. Die am Parthenon verbliebenen Teile des Frieses wurden übrigens erst vor kurzem heruntergeholt (und dort durch Kopien ersetzt).

Der beabsichtigte Eindruck ist: Hier muss zusammengefügt werden, was zusammengehört.

Man kann das aber durchaus auch anders sehen – und nicht nur das British Museum sieht das anders. James Cuno, der Direktor des Chicago Art Institute, hat sich mit provokanten Thesen bei allen Regierungen unbeliebt gemacht, die verlorenen nationalen Kunstschätzen nachtrauern: "Nationales kulturelles Eigentum ist eine politische Konstruktion. Die großen Schätze der antiken Kunst gehören allen von uns als Erben eines gemeinsames Erbes. Sie sollten über die ganze Welt verteilt werden, um Neugier an diesem gemeinsamen Erbe zu wecken."

Schlecht geschützte Schätze

Andererseits hat zumindest Griechenland mit dem Bau des Akropolis-Museums ein Argument entkräftet, das lange Geltung hatte: Der Parthenon und der ganze Akropolis-Komplex war lange Zeit schlecht vor modernen Umwelteinflüssen geschützt, die Kunstwerke waren schlecht präsentiert. Das alte Museum oben auf der Akropolis war ein Schuppen. Der Neubau (eine Architekturkritik folgt im ALBUM) bringt erst die sonstigen Schätze abseits des politisch aufgeladenen Parthenon-Frieses brillant zur Geltung. Vor allem der Saal mit den vorklassischen, archaischen Statuen ist eine Neuentdeckung.

Die Koren (Mädchengestalten) mit ihrem archaischen Lächeln oder die ersten Meisterwerke der "bewegten" Skulptur wie der Kritias-Knabe lassen den politischen Streit um den Fries fast nebensächlich erscheinen. Die innere Architektur erlaubt den großen Blick.

Vom Inhalt her ist dies ein erstklassiges Museum mit erstklassiger Präsentation in transparenter, großzügiger Manier. (Hans Rauscher aus Athen/DER STANDARD, Printausgabe, 22. 6. 2009)