Dass Colin Powell die Türkei in seine Liste der "Koalition der Willigen" aufgenommen hat, ist ein sicheres Zeichen dafür, dass diese Koalition ein schlechter Witz ist. Es gibt kaum ein anderes Land unter den US-Verbündeten, das unwilliger ist als die Türkei, den Amerikanern in einen Krieg gegen den Irak zu folgen. Das betrifft nicht nur die breite Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch die Regierung und selbst das Militär. Bis zuletzt hält Premier Erdogan und seine Mannschaft die Bush-Regierung deshalb hin und erfindet immer neue Ausreden, warum eine Entscheidung jetzt noch nicht möglich ist.
Anders als Deutschland oder Frankreich kann die Türkei nicht einfach Nein sagen. Zu groß sind die politischen, ökonomischen und militärischen Abhängigkeiten von den USA, als dass man George Bush die kalte Schulter zeigen könnte. In einer sehenswerten Gratwanderung versucht Erdogan deshalb, sowohl die Weltmacht als auch seine Anhänger so lange zu vertrösten, bis der Krieg die Entscheidung erledigt hat.
Um die Brücken nach Washington nicht abzubrechen, lässt Erdogan zu, dass die US-Armee in der Türkei Nachschubbasen anlegt und auch die Erlaubnis bekommen wird, den Luftraum zu nutzen. Seinen Leuten kann er dagegen sagen, er habe verhindert, dass die USA von der Türkei aus in großem Stil in den Irak einmarschieren und sich womöglich mit Tausenden Soldaten auf Stützpunkten im türkischen Südosten einrichten. Er nimmt dafür in Kauf, dass die USA ihre Finanzhilfe zunächst zurückhalten und womöglich gar kein Geld schicken werden.
Dafür hofft er aber, seine Regierung und Partei zusammenzuhalten und die USA wenigstens davon abzuhalten, der Türkei die lebenswichtigen Kredite über den Internationalen Währungsfonds zu verweigern. Das ist ein hochriskantes Spiel, aber in einer Situation, wo jede Festlegung den politischen Tod bedeuten könnte, wohl die einzige Möglichkeit zu überleben. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.3.2003)