London - Das britische Schulinspektorat schlägt Alarm: Grund zur Besorgnis gibt eine von der Behörde durchgeführte Untersuchung von Schulkindern. Die Behörde hat 70 Schulen geprüft, jede fünfte Schule musste Kinder im Alter von vier und fünf Jahren vom Unterricht ausschließen, insgesamt waren es 4000.

Im Königreich gilt die Schulpflicht bereits für Fünfjährige, Studien zeigten, dass auch die meisten Vierjährigen schon die ersten Klassen der Grundschulen besuchen. Die Zahl der Schulausschlüsse ist dem Bericht zufolge in den letzten zehn Jahren um zehn Prozent gestiegen. Mehr noch: Schon bei unter Fünfjährigen komme sexuelle Belästigung vor. Britische Medien stellten nun die Frage, ob das überhaupt möglich sei. Könne ein Vierjähriger einen Klassenkameraden sexuell belästigen? Nach Angaben des Schulinspektorats kann er das sehr wohl.

Polly Curtis von der britischen Tageszeitung The Guardian, die seit Jahren die Entwicklung von Kindern in Großbritannien verfolgt, beobachtet eine "zunehmende soziale Verrohung" : "Kinder greifen andere Kinder unsittlich an, sie sprechen in einer sexualisierten Sprache, die sie in dem Alter nicht kennen dürften." Betroffen seien Schulen in sozial benachteiligten Gegenden, wo viele Kinder mit ihren Eltern unter der Armutsgrenze leben.

Tim Benson, Direktor einer Volksschule in London, äußerte sich in einem Ö1-Interview besorgt über das Verhalten der Schüler: "Die Kinder haben eine ganze Reihe von Problemen, sie werden oft selbst missbraucht oder haben andere Komplikationen in ihrem Leben." Die Schuld liege aber nicht bei den Schulen, sondern bei den Eltern. Den meisten betroffenen Kindern fehle es an Geborgenheit und sozialer Sicherheit, die Eltern seien mit der Erziehung überfordert, der Schule bleibe oft nichts anderes übrig, als das Kind vom Unterricht auszuschließen. Benson: "Das ist unsere letzte Waffe."

Recht auf "maßvolle" Gewalt

Gesetzlich stehen den Lehrern in Großbritannien auch andere Mittel zur Verfügung: Sie haben laut "Education and Inspectations Act 2006" das Recht, maßvoll physische Gewalt anzuwenden, wenn sie oder andere Personen in Gefahr sind. Schon zuvor war das nicht verboten gewesen, das Gesetz ließ aber Spielraum für verschiedene Interpretationen. Jeder fünfte Lehrer gab Ende 2008 in einer Umfrage des Times Educational Supplement an, sich den Rohrstock zurück zu wünschen. (mteed, DER STANDARD - Printausgabe, 26. Juni 2009)