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Michael Jackson in einer Pressekonferenz im März 2009 in London.

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2002 während eines seiner letzten Auftritte. Der "König des Pop" starb am Donnerstag 50-jährig in Los Angeles an Herzversagen.

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Michael Jackson (Bildmitte) mit seinen Brüdern als The Jackson 5 Anfang der 70er-Jahre.

Michael Jacksons große Zeit fiel mit dem Aufkommen von MTV und den damals neuen Formaten Musikvideo und CD zusammen. Der richtige Mann kam zur richtigen Zeit. Und hinter ihm stand eine Industrie mit Millionen US-Dollars Marketingbudget zur Durchsetzung neuartiger Produkte. Ende 1982 erschien sein damals immerhin schon sechstes Soloalbum Thriller. Darauf enthalten: heute längst globale, im menschlichen Grundgedächtnis gespeicherte Volkslieder.

Schwarzer Soul und Disco wurden mit barocker Arrangementpracht (und ein wenig weißer Rock-Blässe) zu universellen Gassenhauern aufgeblasen. Mit dem gleichnamigen Titelsong Thriller oder Billie Jean und Beat It kamen auch die visuelle Umsetzung und ein sich gern auch in den Schritt greifender Tanz, den selbst heute noch alle Kleinkinder des Planeten zumindest vom Hörensagen kennen, der "Moonwalk" .

Choreografie, Strategie, Marketing, Hysterie. Nach einer Karriere als Kinderstar mit seinen Geschwistern, The Jackson 5, und solo vermarkteten Meisterwerken wie Off The Wall von 1979 befand sich der fortan als "King of Pop" titulierte US-Sänger nicht nur in Konkurrenz zu Madonna oder Prince bald uneinholbar auf der Siegerstraße. Mit gut 60 Millionen offiziell verkauften und mindestens ebenso oft raubkopierten Tonträgern gilt das Album Thriller heute auch längst als Pop an sich und für sich. In seiner unwiederbringlichen kommerziellen wie künstlerischen Blüte kann man Michael Jackson für alle Zeiten nichts mehr vormachen.

Er war, nach Elvis und den Beatles und ein klein wenig gemeinsam mit Madonna, Prince und vielleicht noch Bono und U2, der größte und zugleich letzte Superstar des Geschäfts. Der große amerikanische Wal. Längst eingefroren auf Festplatte, Vinyl, Youtube und Postern im Kinderzimmer. Produziert von Quincy Jones gilt dieses mit nur neun Songs ausgestattete Werk auch als jener Kipppunkt, der vor einem Vierteljahrhundert exemplarisch dafür stand, wie sich afroamerikanische Musik global vermarkten lässt.

Der Körper als Schlachtfeld

Um zum Welterfolg gelangen zu können, mussten ihm allerdings seine ethnischen Wurzeln gezogen werden. Aufgrund traumatischer Kindheitserlebnisse und eines Eislauf-Vaters ohnehin in eine frühe, beim afroamerikanischen Label Motown gestartete Kinderpopstar-Karriere geprügelt, musste dies traumatisch erfahren werden. Jackson ließ sich zum zigfach chirurgisch adaptierten Formwandler, am Ende zur Witzfigur, zum Freak umbauen. Der Körper, ein Schlachtfeld der ethnischen Diskriminierung. Der Körper, ein Feindesland, dem man mit chirurgischen Eingriffen beikommt. Die Seele musste dafür bluten.

Wie man über die Jahrzehnte in den Klatschspalten des Boulevards nachlesen durfte, vollzog sich an ihm die zum Klischee verdichtete Weltkarriere als Tragödie eines aus armen Verhältnissen in Indiana stammenden schwarzen Kindes. Dieses wurde nicht nur vom mehr als Manager denn als Vater agierenden Familienoberhaupt gedroschen und gedemütigt, um ein Star zu werden. Ihm wurde neben seiner Identität und Kindheit auch schon früh ein Leben unter normalen Bedingungen geraubt.

Immer bizarrer gerieten seit Thriller und den entschieden weniger erfolgreichen Nachfolgealben Bad (1987, 26 Millionen verkaufte CDs ) und Dangerous (1991, 28 Millionen abgesetzte Tonträger) Jacksons private Sichtungen eines Lebens in der undefinierten Grauzone zwischen Normalität, Minderwertigkeitskomplexen, Perfektions- und Größenwahn.

Ab 1993 war mit einer ersten Anklage wegen Kindesmissbrauchs zudem außermusikalisches Feuer am Dach. Sie kostete ihm kolportierte außergerichtliche 22 US-Dollarmillionen zwecks Verfahrensniederschlagung - und die Medienkonsumenten weltweit einiges an moralinsaurer Adrenalinausschüttung.

Dazu kamen exorbitante Lebenshaltungskosten aufgrund einer kunstgeschichtlich konservativen Ölbild- beziehungsweise Las-Vegas-Antiken-Sammelwut und unter anderem der Errichtung eines Privatzoos auf seinem Anwesen Neverland. Ab den 1990er-Jahren, nach einer kurzen Ehe mit Lisa Marie, der Tochter von Elvis Presley, folgten immer noch absurdere Inszenierungen als ältlicher Peter Pan oder mickriger Weltherrscher, zuletzt als schrulliger Vater seiner angeblich eher unkonventionell gezeugten Kinder Prince Michael Jackson Jr. (*1997), Paris Michael Katherine Patricia Jackson (*1998) und Prince Michael Jackson II (*2002). Sie sprengten fortan das gewohnte Dreiminutenformat des Popsongs und zeugten bei aller Unschuldsvermutung von einer Tatsache.

Weißwaschung

Michael Jackson wurde zwar durch seine Weißwaschung der Schritt zum Superstar ermöglicht, von der bezüglich Diskriminierung keinen Groschen umdrehenden Industrie. Allerdings mussten dem aus seiner Heimat ins Nichts der Video-Clips verrückten schwarzen Mann bald auch seine Grenzen aufgezeigt werden. Ein wichtiger Aspekt bei Jacksons trotz aller Prozesse und Skandalgeschichten bis heute anhaltendem Ruf als Minderheitenstellvertreter für Selbstbestimmung und -verwirklichung. Egal, ob diese Images durch Selbstverleugnung bedingt waren: Jackson war und wird der einzige "schwarze" Künstler bleiben, der es - mehr leidend als triumphierend - dorthin geschafft hat, wo ein eisiger Wind weht. Galionsfiguren haben es schwer. Gischt und Geifer spritzen sie an. Gerade auch, wenn klar wird, dass man selbst alles andere als ein Heiliger ist. Als Nebeneffekt der großen Seelenpein kamen regelmäßige Gesichtsoperationen, Hautaufhellungen sowie eine schwere Medikamentensucht.

Nach dem - für seine Verhältnisse mit nur achteinhalb Millionen verkauften Tonträgern als Flop geltenden - Comeback-Versuch Invincible im Jahr 2001 und einem Freispruch vom Verdacht eines erneuten Kindesmissbrauchs 2005 zog sich Michael Jackson aus den USA ins Exil zurück, unter anderem nach Bahrain und Irland.

Zuletzt war nicht nur von erheblichen gesundheitlichen Problemen die Rede. Jackson hatte laut New York Times auch 500 Millionen Dollar Schulden angehäuft. Ab Juli plante er in der Londoner O2-Arena deshalb 50 Auftritte. Für den Veranstalter bedeutet deren Ausfall ein Defizit von kolportierten 40 Millionen Dollar, die bislang in die Produktion geflossen sein sollen.

Die gesundheitlichen Befürchtungen und Zweifel an der Durchführung der Auftritte bestätigten sich nun. Am Donnerstag verstarb Michael Jackson an Herzversagen. Er wurde 50 Jahre alt. (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 27.06.2009)