Die Gebärdensprache ist seit 1. September 2005 in der österreichischen Verfassung als eigenständige Sprache anerkannt. Eine einzelne Gebärde, die für ein einzelnes Wort steht, setzt sich aus der Handform, Handstellung, Bewegung und Ausführungsposition (zum Bespiel Hals, Brust, Kopf) zusammen. Die Mimik ist ein weiteres grammatikalisches Element. In Österreich sind etwa 10.000 Menschen gehörlos, ungleich mehr sind gebärdensprachig. Eines vorweg: Die Gebärdensprache ist nicht international, die englische Gebärdensprache müssen österreichische Gehörlose also genau so erlernen wie Hörende eine normale Fremdsprache.

Lebendige Sprache

Die Sprache ist ein lebendiges Gebilde - Menschen, die das politische Parkett betreten und wichtige Positionen innehaben, bekommen oft eigene Gebärdennamen, also ein eigenes Zeichen. Die grüne, gehörlose Politikerin Helene Jarmer, seit wenigen Tagen Abgeordnete zum Nationalrat, ist gerade daran, die österreichische Politik gebärdensprach-fit zu machen - und die Sprache aktiv weiterzuentwickeln. "Ganz wenige Nationalratsabgeordnete wurden erst benannt, andere Nachnamen werden buchstabiert", sagt sie im Gespräch mit derStandard.at.

Im Normalfall sei es so, dass Familie und Freunde zu Rate gezogen werden, um eine Charaktereigenschaft, ein typisches Merkmal oder etwa einen Tick zu finden, welche die Person am besten beschreiben. "Am wichtigsten ist, dass die Person selbst damit einverstanden ist", sagt Jarmer. Der Name des Vizekanzlers Josef Pröll (ÖVP) in Gebärdensprache, der ihn mit einem dicken Hals darstellt, ist beispielsweise nicht von ihm genehmigt - und wird daher offiziell auch nicht verwendet.

Hans ist nicht gleich Hans

"Der Name Hans hat beispielsweise nichts mit dem deutschen Namen Hans zu tun, sondern mit der Person, die Hans heißt", verdeutlicht Jarmer den Prozess der Namensfindung. Vor 50 Jahren gab es noch allgemeine Gebärden für Namen wie Maria und Josef, "aber das ist mittlerweile verschwunden". Die Mimik spielt in der Gebärdensprache ebenfalls eine wichtige Rolle: So liegt der  Unterschied zwischen "Mutter" und "Vater", beziehungsweise "Mama" und  und "Papa" nur in den weicheren Gesichtszügen, die Gebärden bleiben aber die gleichen. Und auch in der Gebärdensprache gibt es Dialekte und einen Jugendjargon.

Zugang zu Politikern nicht barrierefrei

Warum erst wenige österreichische Politiker auch eine entsprechende Gebärde in der Gebärdensprache haben, liege daran, dass "der Zugang zu Politikern und zum Parlament noch immer nicht barrierefrei ist", sagt Jarmer. In den Vereingten Staaten sei das ganz anders, dort gehört die Barrierefreiheit für Gehörlose zum Alltag. Da wird nicht nur jede einzelne Wahlveranstaltung in Gebärdensprache übersetzt, dort gibt es offizielle Bezeichnungen von allen Politikern, sobald sie die politische Bühne betreten. Barack Obama etwa (ein O und die Flache Hand, die die amerikanische Flagge symbolisiert, siehe Ansichtssache) war schnell weltweit akzeptiert.

Nur sieben gehörlose Politiker

Weltweit gibt es bloß sieben gehörlose Politikerinnen und Politiker, vier in Europa, zwei in Afrika und einer in Nepal. Unsicher begegnen Jarmer die KollegInnen im Parlament, berichtet sie: "Wenn die Leute von klein auf an Menschen mit Behinderungen gewöhnt wären, gäbe es diese Unsicherheiten im Alltag nicht", sagt Jarmer. In der politischen Arbeit ist, im Gegensatz zum Privatleben, ein Gebärdensprachendolmetscher unabdingbar: "Da will ich jedes Wort verstehen. In Diskussionen ist es für mich auch unmöglich, gleichzeitig allen von den Lippen abzulesen".

Versteckte Gebärden

Für diese Unsicherheiten macht Jarmer nicht nur die Politik verantwortlich. "Was mich persönlich stört, ist dass die Gebärdensprache versteckt ist. Im ORF gibt es lediglich zwei Sendungen, die offen in Gebärdensprache übersetzt werden. Das sind die Wochenschau und eine Kindersendung am Samstag". Um sich hingegen die "Zeit im Bild" in Gebärdensprache anzusehen, müsse man umständlich den richtigen Kanal (ORF-Europe) suchen. "In Amerika ist es selbstverständlich, dass gedolmetscht wird. In Österreich ist es exotisch, wenn die Helene Jarmer mit einem Dolmetscher auftaucht".

Deutsches Wörterbuch

Ein offizielles Verzeichnis von heimischen Politikernamen gibt es laut Jarmer nicht. Das Zentrum der Deutschen Gebärdensprache an der Uni Hamburg macht sich aber im deutschen Sprachraum regelmäßig auf die Suche nach neuen Begriffen. (Marijana Miljkovic und Anita Zielina, derStandard.at, 20.7.2009)