Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters

Die USA sollen endlich ein leistbares Gesundheitssystem bekommen.

*****

Barack Obama bläst zur Gegenattacke. Nach Tagen voller Zweifel, in denen seine geplante Gesundheitsreform selbst in der eigenen Partei auf Widerstand stieß, hat er auf seiner wichtigsten Baustelle die Ärmel hochgekrempelt. Wie es seine Art ist, startet er eine Publicity-Offensive: Am Donnerstag flog er nach Cleveland, in die krisengeplagte Industriestadt am Eriesee, um sich in einer Klinik den bohrenden Fragen von Patienten zu stellen. Am Abend zuvor hatte er im Weißen Haus, im festlichen Kandelaber-Ambiente des East Room, Tacheles geredet. "Ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten. Ich habe einen Arzt, der mir jede Minute folgt. Ich habe die beste Gesundheitsfürsorge der Welt. Um mich geht es hier nicht." Es waren Sätze, die dem politischen Gegner den Wind aus den Segeln nehmen sollten.

Darauf bedacht, Obama schon an der ersten Hürde straucheln zu lassen, spielen die Republikaner das Ringen um die Reform zur entscheidenden Kraftprobe hoch. Wenn man den Mann stoppen könne, werde es sein Waterloo, poltert Jim de Mint, ein konservativer Senator aus South Carolina. Aber auch unter Obamas Demokraten, zumindest auf dem rechtem Parteiflügel, regt sich Widerspruch gegen das, was bis dato an Blaupausen vorliegt. Abgeordnete schreckt die Aussicht, dass der Fiskus die Steuern für Besserverdiener massiv erhöht, das heißt, ab einem jährlichen Familieneinkommen von 350.000 Dollar eine Reichensteuer von fünf Prozent einführt. Ein solcher Schnitt träfe auch Teile der aufstrebenden Mittelklasse.

Den Zweiflern in den eigenen Reihen kam Obama nunmehr entgegen, indem er die Marke nach oben verschob. Nach seinen Worten sollen nur Haushalte, die mehr als eine Million Dollar pro Jahr verdienen, steuerlich stärker belastet werden, um die Reform zu finanzieren. Die sieht im Kern vor, 47 Millionen nicht krankenversicherte Amerikaner in das System einzubeziehen. Dafür rechnen Experten bis 2019 mit 1,2 Billionen Dollar Mehrausgaben. Wie das Geld aufgebracht werden soll, ist das A und O des hitzigen Diskurses. Zwei Drittel gewinne man durch Einsparungen, betonte Obama. Viele Untersuchungen seien überflüssig, manche Patienten würden dreimal geröntgt, wo eine Aufnahme genüge. Und das nur, weil die Kommunikation zwischen Arztpraxen und Krankenhäusern mangelhaft sei und jeder daran verdienen wolle.

Jetzt gehe es darum, "die Last eines Problems zu schultern, das Washington seit Jahrzehnten zu lösen versäumte" . Die Kosten liefen aus dem Ruder, sie gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen, die sich in der Regel an der privaten Krankenversicherung ihrer Beschäftigten beteiligen. Medicare und Medicaid, die medizinischen Programme für Alte und Arme, drohten unbezahlbar zu werden. Viele Normalverbraucher müssten doppelt so hohe Prämien berappen wie zu Beginn der Dekade. "Ich bin in Eile, weil ich täglich Briefe von Familien bekomme, die von den Kosten erschlagen werden" , sagte Obama.

Noch aber lässt er vieles offen, wohl aus Angst, er könnte sich in kniffligen Details verheddern. Der Streit trägt auch deshalb konfuse Züge, weil nicht nur ein Gesetzentwurf zirkuliert, sondern vier Novellen, erstellt von einem Senatskomitee und drei Unterausschüssen des Repräsentantenhauses. Kritiker mahnen Obama denn auch, endlich Ordnung ins Chaos zu bringen, konkrete Entscheidungen zu treffen, statt allgemeine Reden zu halten. Klar ist, dass die Sisyphosarbeit mehr Zeit braucht als gedacht. Seine ursprüngliche Absicht, den Kraftakt bis August durchzuziehen, hat der Präsident aufgegeben. Nach seinem neuen Fahrplan peilt er den Oktober an. "Aber Fristen müssen sein. Wenn Sie in Washington keine Fristen setzen, wird nie etwas geschehen."

Quasi wie zum Beweis dafür verschob der Senat seine Abstimmung über die Reform auf nach der Sommerpause. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 24.7.2009)