Istanbul, Fährenanlegestelle an der Galatabrücke. Fliegende Händler bieten Wasserflaschen feil oder verkaufen Vogelfutter, das die Touristen an die Tauben verfüttern. "Das sind Kurden", sagt Alexander, dessen Eltern aus Istanbul kommen. "Die kriegen hier oft keine besseren Jobs". Trotzdem sind in den letzten zwei Jahrzehnten eine Million Kurden aus dem Südosten in die Metropolen gewandert, um der wirtschaftlich schlechteren Situation in ihren Heimatregionen zu entkommen.

"Der Wirtschaftsausschwung der Neunziger-Jahren", erklärt Gerald Knaus von der European Stability Initiative (esi), "ist an Südostanatolien vorbeigegangen". Fehlende Investionsbereitschaft in den Unruheprovinzen, in denen die als Terrororganisation eingestufe kurdische Arbeiterpartei (PKK) ihr Unwesen trieb und die teilweise bis im Jahr 2002 unter Kriegsrecht standen, ließ die Integration der Türkei in die Weltwirtschaft in den Kurdengebieten nicht stattgefunden. Die Auswirkungen waren höhere Arbeitslosigkeit und Abwanderung aus den Gebieten.

Geschichte der Gewalt

Von Anfang an wurde die Existenz einer kurdischen Volksgruppe in der jungen türkischen Republik staatlich geleugnet, Kurden in den 20er Jahren brutal assimiliert und ausgesiedelt, kurdische Namen und die Verwendung der kurdischen Sprache verboten. Aufstände wurden mit massiver Gewalt niedergeschlagen. Der bewaffnete Untergrundkampf der kurdischen Arbeiterpartei PKK für ein unabhängiges Kurdistan begann 1984 vor allem im Südosten der Türkei und forderte bis heute auf beiden Seiten rund 40.000 Menschenleben.

Positive Tendenz

In den 90er Jahren begann sich an der Situation der kurdischen Minderheit, die bisher nicht offiziell als Minderheit anerkannt ist, zum Besseren zu wenden. Eine rechtsstaatliche Reform begann einige Verbesserungen im Zivilrecht umzusetzen. Nunmehr sind Gebrauch der kurdischen Sprache, Kurdischunterricht in Privatschulen und kurdische Radio- und Fernsehkanäle erlaubt. Seit etwa fünf Jahre dürfen staatlichen Fernsehsendern auch Programm auf kurdisch senden. Anfang des Jahres 2009 nahm TRT 6, ein Sender, der 24 Stunden lang in Kurdisch sendet, den Betrieb auf. Als sensationelles Zeichen für den langsamen Wandel der Kurdenpolitik wurde ein Interview mit Ministerpräsident Erdogan gewertet: "TRT ses bi xer be", "Gutes Gelingen, TRT 6", richtete er dem Sender aus. Noch nie hatte ein Politiker öffentlich kurdisch gesprochen.

Zwar verstieß Erdogan damit gegen ein Verbot, nachdem es Politikern nicht erlaubt ist, kurdisch zu sprechen. Ein Signal war allerdings gesetzt. Das Gesetz hält auch weiterhin zahlreiche Stolpersteine für Kurden parat. So hält zum Beispiel das Türkische Strafgesetzbuch das "Gesetz zu türkischen Buchstaben" parat, das den Gebrauch von Buchstaben, die im kurdischen Alphabet, nicht aber im türkischen Alphabet vorhanden sind, unter Strafe stellt. Auch im türkischen Verfassungsrecht manifestiert sich die Unterdrückung der Kurden.

Trotzdem sehen Kurdenvertreter und Menschenrechtler in den neuesten politschen Ankündigungen einen "radikalen Wandel" in der politischen Tonart. Am vergangenen Mittwoch präsentierte der türkische Innenminister Besir Atalay die Grundzüge eines Plans zur friedlichen Lösung des Kurden-Konflikts, mit dem er auch der angekündigten "Road Map" des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan zuvorkommen möchte. Mit einer solchen Rede hätte Atalay vor zehn Jahren noch ein Gerichtsverfahren riskiert. 

Nach Berichten in den Medien soll geplant sein, Ärgernisse wie das Verbot kurdischer Namen zu beseitigen oder auch die Türkifizierung kurdischer Ortsnamen rückgängig zu machen. Angedacht ist außerdem die Einführung kurdischer Studiengänge an verschiedenen Universitäten und eventuell auch Kurdisch als Wahlfach in der Grundschule. Kurdenvertreter geben sich vorsichtig optimistisch.

Aufarbeitung der Verbrechen

Ein gutes Zeichen ist, dass langsam auch die Aufarbeitung all jener Verbrechen beginnt, die in den letzten 25 Jahren im Namen des Staates im Kurdengebiet verübt wurden. Es laufen mehrere Verfahren gegen Militärs und Ex-Militärs, die für außergerichtliche Exekutionen verantwortlich gewesen sein sollen. Ein Prozess, der nicht ohne Widerstände abläuft, auch innerhalb des staatlichen Systems. (mhe, derStandard.at, 4.8.2009)