Zur Person: Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das Auswärtige Amt in Deutschland tätig, davon war er 17 Jahre lang in mehreren Ländern in Afrika eingesetzt. Von 2004 bis 2008 war er deutscher Botschafter in Kamerun.

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Die "westliche Welt" gefällt sich in der Rolle des Entwicklungshelfers Afrikas, sichtbare Auswirklungen oder eine Verbesserung der Lage könne man allerdings in den letzten Jahrzehnten keine bemerken. Das stellt neben vielen Kritikern der Entwicklungspolitik auch der deutsche Ex-Botschafter Volker Seitz fest. Im derStandard.at-Interview erklärt er, wie man langfristig die Entwicklungshilfe reformieren sollte, wo die Probleme liegen und warum er die neue Linie der USA sehr begrüßt, die afrikanischen Regierungen an ihre Eigenverantwortung zu erinnern.

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derStandard.at: Sie stellen in Ihrem Buch "Afrika wird armregiert" die umstrittene These auf, dass man die staatliche Entwicklungshilfe, wie sie bisher hilft, weitgehend einstellen sollte. Warum?

Seitz: Wir haben den Drang, unbedingt helfen zu wollen. Aber ein Übermaß an Hilfe lähmt die Betroffenen, statt ihnen zu helfen. Der stetige Zuwachs an Mitteln ist zu einem Zwangskorsett geworden. Ich kenne kaum eine afrikanische Regierung, die für ihre Probleme eigene Lösungen erarbeitet. Warum auch? Die Geber stehen doch Schlange um helfen zu dürfen.
Ich plädiere dafür nur noch dort zu helfen, wo Eigenleistungen kontrolliert eingebracht werden und wo die Initiative - anders als heute - von den Regierenden ausgeht. Was völlig anderes sind natürlich kleine, private Initiativen.

derStandard.at: Um welche Summen an Direktzahlungen handelt es sich hier in den letzten Jahren?

Seitz: Aus leidvoller Erfahrung in Kamerun weiß ich, dass dies - so unglaublich sich das anhört - niemand mehr genau beziffern kann. Der ghanaische Ökonom Ayittey hat ausgerechnet, dass seit 1960 die Summe von sechs Marshallplänen (Anm. der Marshallplan war ein 12,4-Milliarden-Dollar-Wiederaufbau-Programm der USA zugunsten des nach dem Zweiten Weltkrieg zerstörten Westeuropas) nach Afrika gepumpt wurde - ohne erkennbares Ergebnis. Da liegt es doch auf der Hand nachzufragen, was mit dem Geld geschieht, wofür es eingesetzt wird und vor allem was damit erreicht wird.

derStandard.at: Das große Problem liegt laut Kritikern wie Ihnen in der Ausbeutung und Korruption der Regierungseliten, Stammesdenken und daran, dass in vielen Staaten kaum Maßnahmen für Bildung, Arbeitsmarkt und Soziales getroffen werden. Wie soll sich das ändern?

Seitz: Die Lage Schwarzafrikas wird sich auch in Zukunft nicht wesentlich verbessern, wenn nicht zweierlei geschieht: Erstens müssen die Afrikaner erkennen und nach der Erkenntnis handeln, dass es bei der Bewältigung der Zukunft auf sie selbst ankommt - nicht auf uns. Zweitens, wir müssen uns entsprechend verhalten, konsequenter als bisher. Wenn wir die Afrikaner für das, was sie zu leisten vermögen und zu leisten verpflichtet sind, nicht in Anspruch nehmen, missachten wir sie, weil wir sie nicht ernst nehmen. Sie auf ihre Verantwortung hinzuweisen, entbindet uns keineswegs von unserer Mitverantwortung und unserer Pflicht zu angemessener Hilfe.

derStandard.at: Die Botschaft Barack Obamas, der Mitte Juli Ghana besuchte, war:"Die Zukunft Afrikas liegt bei den Afrikanern". Das wiederholt nun auch Hillary Clinton auf Ihrer aktuellen Afrika-Tour. Sehen Sie darin einen ernst gemeinten Impuls zur Reform der Entwicklungshilfe?

Seitz: Erstmals habe ich von einem westlichen Politiker so klare Worte gehört. Meine afrikanischen Freunde hoffen jetzt, dass auch andere Entwicklungshilfegeber vorrangig "Gutes Regieren" fördern wollen. Das steht zwar in allen Hochglanzbroschüren, aber ich habe in 17 Jahren in Afrika niemals den Eindruck gehabt, dass dies ein Schwerpunkt der Entwicklungspolitik eines Gebers war.

derStandard.at: Wieso sollte sich das jetzt ändern? Schließlich bestehen weiterhin die individuelle Interessen der westlichen Staaten an Einfluss in Afrika?

Seitz: Das ist in der Tat ein Problem. Äquatorial-Guinea zum Beispiel ist eines der reichsten Länder überhaupt und hat ein Bruttosozialprodukt wie Katar. Ich habe lange dagegen gekämpft, dass die EU auf Druck der Spanier und der Franzosen die Trinkwasserversorgung für das Land bezahlt. Sowas darf aber nicht sein. Die Probleme der Enwicklungspolitik können nur international gelöst werden. Hier müssen wir anfangen.

derStandard.at: Wie könnte Ihrer Meinung nach eine Reform der Entwicklungspolitik aussehen?

Seitz: Erfolgreich ist jede Hilfe nur, wenn sie Eigendynamik auslöst. Um dies zu überprüfen, brauchen wir eine unabhängige Wirksamkeitskontrolle nach Art des Rechnungshofes. Es geht nicht darum, wie viel Geld man in der Entwicklungshilfe ausgibt, sondern darum, wo und bei wem es landet, ob es eine bessere Politik bewirkt.

Ich bin Mitinitiator des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe. Wir fordern, nur noch die besonders förderungswürdigen Bereiche wie Grund- und Berufsbildung, Kleinkredite und beschäftigungswirksame Infrastrukturmaßnahmen zu fördern.

derStandard.at: Welche Rolle spielen in diesem Spiel denn die internationalen Konzerne? Schließlich gibt es hier großes Interesse daran, die Kontrolle über den Export von Rohstoffen nicht zu verlieren?

Seitz: Ja das wird ein Problem bleiben. Aber ich muß den Nobelpreisträger Bischof Tutu zitieren, der die afrikanischen Führer fragt "Warum in Gottes Namen, habt Ihr Euch benutzen lassen, gegen die Interessen Eures eigenen Volkes?"

derStandard.at: Auch China will seinen Einfluss in Afrika aus wirtschaftlichem Interesse ausweiten und seine Entwicklungshilfe intensivieren, die es an Projekte binden will. China als Vorbild in der Entwicklungshilfe?

Seitz: China kann schon deshalb kein Vorbild für uns sein, weil auch Regierungen gestärkt werden, die völlig ohne Rücksicht auf die eigene Bevölkerung handeln. China bildet bei seinen Projekten, meist Prestigebauten kaum Fachkräfte aus.

derStandard.at: US-Präsident Obama hat Ghana als Erfolgsmodell für den Kontinent gewählt. Welches Land/welche Länder würden Sie persönlich hervorheben?

Seitz: Botswana hat gezeigt wie es geht. Die Einnahmen aus dem Diamantenexport fließen zum Teil in einen Fonds der für künftige Generationen eingefroren wird. Schulen und Medikamente sind frei. Krankenhausgebühren niedrig. Laut Transparency International sind demokratische Strukturen in allen Bereichen des Landes zu finden. Journalisten und Opposition werden nicht bedroht. Niemals haben politische Gegner im Gefängnis gesessen. Folge: Das Bruttosozialprodukt ist von 1600 US $ um 1970 auf heute 8000 US$ gestiegen. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 7.8.2009)