"Ich glaube, dass das politische Selbstverständnis der herrschenden ÖVP ein prä-demokratisches ist. Wer das Herz der ÖVP studieren will, der muss nach Vorarlberg gehen."

Foto: derStandard.at/Pumberger

"Ernsthaft erwartet von Strache oder von Dieter Egger in Vorarlberg niemand, dass der irgendetwas besser machen kann, sondern dass er etwas heimzahlt. Und um etwas heimzuzahlen muss ich ja nichts können."

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"Ein so zerfahrener ins Eck getriebener Konflikt wie zwischen Israel und Palästina kann auf der immer gleichen Ebene nicht gelöst werden, sondern muss auf eine höhere Kategorie gehoben werde. Eine höhere Kategorie wäre ein selbstbewusstes, traditionsbewusstes Europa."

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"Ernsthaft erwartet von Strache oder von Dieter Egger in Vorarlberg niemand, dass sie irgendetwas besser machen können, sondern dass sie etwas heimzahlen", sagt der Schriftsteller Michael Köhlmeier zum Grund, warum viele Menschen die FPÖ wählen. Für Köhlmeier ist ganz klar: Die Vorarlberger haben einen Minderwertigkeitskomplex. Er attestiert der Ländle-Politik ein "prä-demokratisches Selbstverständnis". Dass die ÖVP bei den Landtagswahlen am 20. September abgelöst wird, schließt er aus: "Da halte ich es eher für möglich, dass ein Ufo landet." Warum er nicht ganz Vorarlberg als seine Heimat sieht und warum er Israel und Palästina in die EU aufnehmen würde, sagte er im Gespräch mit Marijana Miljkovic und Sebstian Pumberger.

derStandard.at: Haben die Vorarlberger einen Minderwertigkeitskomplex?

Köhlmeier: Ja. Wie überall, wo der Zentralismus herrscht, wenn man an der Peripherie ist. Der Minderwertigkeitskomplex der Peripherie ist einer, der sehr schnell, sprungartig, in Größenwahn kippt. Jetzt ist es vielleicht nicht mehr so sehr der Fall, wie das war, als ich noch jung war. Heute ist jeder irgendwann einmal irgendwo anders gewesen. Da relativiert sich das natürlich.

derStandard.at: Wie drückt sich der Komplex politisch aus?

Köhlmeier: Man meint, dass die Wiener – der Begriff Wiener Wasserkopf ist so ein typisches Vorurteil – uns mehr nehmen als geben. Und dass die guten Sachen immer dünner gesät sind, je weiter sie vom Zentrum weg sind.

derStandard.at: Was ist denn das politische Selbstverständnis eines Vorarlbergers?

Köhlmeier: Wenn ich eine pauschalierende Antwort gebe, baue ich wieder ein Vorurteil auf und das möchte ich nicht. Lassen Sie mich die Frage anders beantworten: Was ist das politische Selbstverständnis des Landeshauptmanns? Ich glaube, dass das politische Selbstverständnis der herrschenden ÖVP ein prä-demokratisches ist. Wer das Herz der ÖVP studieren will, der muss nach Vorarlberg gehen oder nach Döbling. In Vorarlberg sieht man es in einer reinen, ländlich-bäuerlichen Tradition stehend. Die Sozialdemokraten haben es hier immer schwer gehabt. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, aber der erste Sozialdemokrat in Vorarlberg hieß Coufal (gesprochen wie „Zufall", gemeint ist Johann Coufal, Anm.) und das ist kein Scherz.

derStandard.at: Wie sieht dieses Prä-Demokratische aus?

Köhlmeier: Ich kenne den Landeshauptmann, er ist ein anständiger und umgänglicher Mensch. Aber im Grunde genommen sieht er Oppositionspolitik als eine Mutwilligkeit. Demokratische Gepflogenheiten – dass es klar ist, dass die Opposition eine Gegenmeinung einnimmt, dass Politik aus dem Dialog oder dem Streitdialog zwischen Opposition und Regierungspartei entsteht – gelten bei den schon seit ewigen Zeiten in Vorarlberg herrschenden Schwarzen als merkwürdig. Die ÖVP ist zum Beispiel ohne jede Notwendigkeit – weil sie ja die absolute Mehrheit hätte – in einer Koalition mit der FPÖ. Das wird von vielen Leuten in Vorarlberg als „Wir können gut zusammenarbeiten" empfunden. Aber da muss man sehen, welche Vorstellung von Zusammenarbeit da herrscht: Eben eine prä-parlamentarische. Parlare, das Reden, das Oppositionelle und Gegenseitige, das ist diesem Gedanken eigentlich fremd. Da steckt die alte Vorstellung von einem Ständestaat dahinter.

derStandard.at: Sie schließen aus, dass es in nächster Zukunft einen Sturz der ÖVP geben wird?

Köhlmeier: Es kann sein, dass sie nicht mehr die Absolute hat. Aber dass es einen Sturz gibt, wird vollkommen ausgeschlossen. Da halte ich es eher für möglich, dass ein Ufo landet.

derStandard.at: Die FPÖ wäre wahrscheinlich diejenige Partei, die der ÖVP die Absolute kosten könnte?

Köhlmeier: Das kann sein. Die FPÖ gewinnt dazu und keiner weiß eigentlich wirklich, warum.

derStandard.at: Die Blauen machen Politik mit Ängsten und haben Erfolg damit, heißt es.

Köhlmeier: Das glaube ich nicht. Das wird schon bedient, aber eher mit Rache. Ich glaube, dass es wirklich niemanden gibt, der glaubt, dass die FPÖ, wenn sie ans Ruder kämen, irgendetwas besser machen können. Sie haben einen stabilen Nachweis erbracht, dass sie es nicht können. Das hat aber nichts an der Attraktivität der FPÖ geändert.

derStandard.at: An wem rächt man sich da?

Köhlmeier: Da gibt es so viel. Irgendwie empfinden viele ein Unbehagen und eine Frustration. Und es gibt wenige Leute, die meine nicht gerächte Sache rächen. Ernsthaft erwartet von Strache oder von Dieter Egger in Vorarlberg niemand, dass der irgendetwas besser machen kann, sondern dass er etwas heimzahlt. Und um etwas heimzuzahlen muss ich ja nichts können. Um ein Haus zu bauen, muss ich was können. Um es zu zerstören kann ich anfangen, wo ich will. Ich kann beginnen, die Scheiben einzuschlagen, ich brauche nicht einmal einen Plan. Natürlich gibt es ängstliche Leute. Ich weiß nicht, wie das in Wien ist, aber ich glaube nicht, dass die Leute in Vorarlberg Angst haben. Nicht einmal Angst vor der wirtschaftlichen Situation. Das würde ihrem Konsumverhalten und der Art, wie sie leben, vollkommen widersprechen. Der Vorarlberger FPÖler Dieter Egger hat übrigens das Böseste gesagt, was ich aus dieser Ecke gehört habe. Er sagte, es solle endlich Schluss sein damit, dass Leuten, die ins Krankenhaus kommen, ein Dolmetscher beigestellt wird. Da muss man sich vorstellen, wie viele Leute das sind und wie viel das tatsächlich kostet. Das ist eine Inhumanität, die ihres gleichen sucht.

derStandard.at: Und damit hat er wohl nicht die Touristen gemeint. Sehen sie einen Unterschied zwischen Landes- und Bundes-FPÖ?

Köhlmeier: Ja, den sehe ich schon. Die Bundes-FPÖ entwickelt sich unter Strache, Mölzer und Graf zu einer wirklich rechtsradikalen Partei. Einer rechtsradikalen Partei, die auch das Andenken an den Nationalsozialismus weichzeichnen möchte. Das sehe ich in Vorarlberg nicht. Die Vorarlberger FPÖ ist eine opportunistische Partei. Ganz typisch war: Nach der Spaltung der FPÖ hat die Vorarlberger FPÖ lange Zeit abgewartet und es hat zu nächst geheißen: Wir gehen einen eigenen Weg. Das hat aber geheißen: Wir schauen zu, wer der Sieger sein wird und auf dessen Seite schlagen wir uns.

derStandard.at: Im Parlament sitzt ein strafrechtlich verurteilter Mandatar. Es gibt dann auch noch einen Nationalratspräsidenten, der Bedenkliches äußert, einen Bundeskanzler, der mit einer Zeitung packelt, eine Innenministerin, die einen harten Kurs in Asylfragen fährt. Welches Bild haben Sie von den Regierenden?

Köhlmeier: Ich würde gerne sagen, ich habe ein schlechtes Bild, aber ich weiß, dass das eine sehr gefährliche Aussage ist. Weil es genau in diese Richtung geht, dass am Ende der Satz dasteht: Es ist alles ein Sauhaufen. Auf was beruht so eine Einschätzung? Das beruht doch darauf, dass man davon ausgeht, dass Politiker besser sein müssen als irgendjemand anderes. Ich empfand immer ein Unbehagen, wenn ein neuer Politiker auftaucht und er gefragt wird: Was befähigt Sie zu diesem Posten? Für einen Republikaner und Demokraten kann es nur eine Antwort geben: Ich bin volljährig, mein Leumund ist so und so, und ich bin nicht entmündigt. Und andere Voraussetzungen gibt es nicht in der Demokratie. Die Vorstellung, es müsste doch andere Voraussetzungen geben ist keine demokratische, sondern eine aristokratische.

derStandard.at: Was ist Heimat für Sie?

Köhlmeier: Ich habe dazu keinen Begriff, außer dass ich Heimat auf den Ort beziehe, wo ich lebe, auf dieses Gebiet, wo ich die Leute kenne, wo ich die Straßen kenne, wo ich die Bäume kenne und den Bach kenne. Ich habe aber zum Beispiel dem Montafon gegenüber überhaupt keine Heimatgefühle, da habe ich Wien gegenüber viel mehr Heimatgefühle. Ein Heimatgefühl, das an den Grenzen Vorarlbergs oder Österreichs entlang kriecht, das habe ich sicher nicht.

derStandard.at: Apropos Grenzen: Sie haben auch gefordert, dass Israel und Palästina in die EU aufgenommen werden.

Köhlmeier: Erstens: Historisch gesehen sind uns Israel und Palästina bedeutend näher als zum Beispiel die Türkei. Zweitens ist Europa auf einem guten Weg eine aufgeklärte Weltmacht zu werden. In Europa ist man mit großen Vorsätzen angetreten, nur vor einer Sache sind die Europäer, auch historisch gesehen, zurückgeschreckt, nämlich vor der Macht. Europa hat sich immer dann, wenn es in ihrem eigenen Bereichein einen Konflikt gegeben hat, wie damals in Jugoslawien, zurückgezogen. Ich meine nicht, dass man gleich militärisch eingreifen muss, aber man hat sich rausgehalten und das den Amerikanern überlassen. Dieser Konflikt zwischen Israel und Palästina hält die ganze Weltpolitik nicht nur in Atem sondern in einer Pattstellung. Ich glaube, Europa könnte hier eine neue und andere Idee einbringen, die das vielleicht befriedet. Ein so zerfahrener, ins Eck getriebener Konflikt wie zwischen Israel und Palästina, kann auf der immer gleichen Ebene nicht gelöst werden, sondern muss auf eine höhere Kategorie gehoben werde. Eine höhere Kategorie wäre ein selbstbewusstes, traditionsbewusstes Europa.

derStandard.at: Oft wird die EU nicht als Hoffnung sondern als Last angesehen.

Köhlmeier: Bis jetzt müsste jeder halbwegs klare Blick sagen, dass wir in Österreich von der EU mehr profitiert haben, als wir es uns erhofft haben. Die EU hat den Status eines großen Übervaters. Es ist immer gut, wenn man jede kleinste Kleinigkeit, auch wenn es die persönlichsten Frustrationen sind, an jemanden delegieren kann. Das ist in Deutschland nicht so. Wir sind ein Untertanenstaat. Die Untertanen hocken beieinander und schimpfen über den Chef und wenn er reinkommt ziehen sie den Hut und machen einen besonders schönen tiefen Bückling vor ihm. Das ist extrem lächerlich. Es wäre in Deutschland nicht vorstellbar vom Bundespräsident als "Unser Herr Bundespräsident" zu reden. Nicht weil sie unhöflicher sind. In Österreich gibt es ja auch die berühmte Abkürzung dafür: UHBP. Das ist prädemokratisch. (Marijana Miljkovic, Sebastian Pumberger, derStandard.at, 11. August 2009)