Um die anstehenden Probleme, vor allem den Klima-wandel, wirksam zu bekämpfen, muss die Gesellschaft bekannte Denkwege verlassen, so Wifo-Expertin Angela Köppl.

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Angela Köppl erklärt Johanna Ruzicka, weshalb radikalere Maßnahmen getroffen werden müssen.

STANDARD: Im Zusammenhang mit der fossilen Energie und mit dem Klimawandel wird immer wieder davon gesprochen, dass unser aller Wirtschaftssystem auf eine nachhaltigere Basis gestellt werden muss. Warum geschieht das jetzt eigentlich nicht? Wäre die Wirtschaftskrise nicht der ideale Zeitpunkt?

Angela Köppl: Nun, es gibt schon Ansatzpunkte, dass Ökonomie und Umwelt ein wenig besser in Einklang gebracht werden. Allerdings: In der Zeit der Wirtschaftskrise werden vor allem Maßnahmen zur Wiederherstellung eines "business as usual" gesetzt und nicht Strukturänderungen, die gerade in der Krise nötig sind.

STANDARD: Warum ist das so?

Köppl: Es gibt noch kein so klares Bild, wie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen aussehen sollten. Die Zielsetzung ist klar, nämlich: Wir wollen und brauchen die kohlenstoffarme Wirtschaft. Das Ziel ist, 80 Prozent der Treibhausgasemissionen im Laufe der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu reduzieren. Das ist nahezu eine kohlenstofffreie Wirtschaft. Aber wie die Entwicklungspfade dorthin aussehen sollten, wissen wir nicht.

STANDARD: Aber wir setzen so gar keine Schritte.

Köppl: Ganz so ist es nicht. Um die Ziele zu erreichen, ist ein radikaler Paradigmenwechsel notwendig. Dieser zeichnet sich nicht ab, da gebe ich Ihnen recht. Aber was sich abzeichnet, sind kleine, quasi inkrementelle Veränderungen.

STANDARD: Beispiel?

Köppl: Etwa die Energiestandards bei Gebäuden, die vor allem im Neubau über die Zeit verbessert wurden. Da geht einmal etwas in die richtige Richtung. Noch nicht ausreichend, ja, weil die technologischen Möglichkeiten schon weiter sind. Aber es wird umgesetzt. In der Industrie ist es auf EU-Ebene der Emissionshandel, der ein Instrument darstellt, das in die richtige Richtung geht.

STANDARD: Leider sagen alle Klimatologen, dass das Zeitfenster, das die Menschheit hat, um weniger Treibhausgase zu emittieren, extrem klein ist. Die kleinen Schritte sind also zu wenig.

Köppl: Ja, es müssen größere, radikalere Schritte gesetzt werden. Eine grundlegende Transformation unserer Energiesysteme ist notwendig.

STANDARD: Da heißt es aber immer, dass wir nicht genügend ausgereifte Technologien haben, um von fossilen Energieträgern ganz Abschied zu nehmen.

Köppl: Auch hier ist es ein Problem des Entwicklungspfades. Uns fehlt die Verbindung zwischen den Zielen im Jahr 2020 oder auch 2050 mit dem heutigen. Wir sind gewohnt, dass wir Entwicklungspfade entwerfen und dabei vom Heute ausgehen und dabei auch unsere ganze Vergangenheit mitnehmen. So denken wir einfach, so entwickeln wir Problemlösungen. Jedoch sollten wir den umgekehrten Weg gehen! Wir sollten sagen: Bis zu diesem und jenem Zeitpunkt wollen wir dort und dort sein. Und von diesem Punkt aus sollten wir zurückgehen bis heute und die notwendigen Schritte setzen.

STANDARD: Das macht niemand auf dieser Welt.

Köppl: Doch, schon. In der Forschung. Aber nicht in der notwendigen Breite. Wenn wir aber die derzeitigen, eigentlich vergangenen, Strukturen verlassen müssen, ist das ein wichtiger Punkt. Wenn wir das nicht machen, besteht die Gefahr eines technologischen "lock-in" . Das heißt, dass es zu einem Einsperreffekt kommt, weil man auf den gewohnten Pfaden immer weiter geht. Irgendwann kommt es dann zum Bruch, der vermutlich mit höheren Kosten verbunden ist.

STANDARD: Bitte ein Beispiel.

Köppl: Wir haben die Zukunftsvision, dass Häuser zu Plus-Energiehäusern werden. Das heißt, dass sie nicht nur Energie benötigen, sondern diese auch bereitstellen. Dass sie Energieproduzent sind und Abnehmer zugleich. Das erfordert Veränderungen in der Infrastruktur. Von der zentralen Energiebereitstellung, wie wir sie gewohnt sind, müssen wir uns da verabschieden.

STANDARD: All die vielen Probleme rund um Klimawandel und Finanzkrise: Ginge eine Problembewältigung mit mehr Staat nicht besser? Mit einem starken, eventuell weniger demokratischen Staat?

Köppl: Beim Klimawandel muss der Staat eine sehr aktive Rolle einnehmen. Er muss die Rahmenbedingungen setzen, damit das Ziel der Emissionsreduzierung erreicht wird. Ich sehe das im Rahmen von starker Regulierung. Wir wissen von der Entwicklung der Umwelttechnikindustrie, welche günstige und prosperierende Rolle Regulierung spielen kann. So ist auch das EU-Energie- und Klimapaket zu sehen. Das ist ein gutes Beispiel für eine Regulierung, die ökonomische Chancen eröffnet.

STANDARD: Wegen der Wirtschaftskrise verschulden sich gerade alle Staaten bis über beide Ohren. Verbauen wir uns damit nicht alle Möglichkeiten, den Klimawandel zu bekämpfen?

Köppl: Tatsache ist, dass derzeit alles darauf abgestellt ist, die Strukturen aus der Zeit vor den Beschädigungen durch die Finanzkrise wiederherzustellen. Die Ziele der Klimapolitik müssen aber nicht unbedingt mit großen öffentlichen Budgetmitteln verknüpft sein. Man kann auch mit reiner Regulierung arbeiten. Dafür sind die Vorschläge zum EU-Emissionshandel ein gutes Beispiel. Und über die vorgesehenen Auktionierungen der Zertifikate könnte es sogar Rückflüsse ins Budget geben, auf diese Weise könnte eine starke Umverteilung hin zu ökologischen Maßnahmen stattfinden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8./9.8.2009)