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Ein Mahnmal in Berlin erinnert an die Todesopfer an der Mauer.

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Berlin - Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall liegt erstmals eine wissenschaftlich dokumentierte Bilanz der Todesopfer an den Berliner DDR-Grenzanlagen vor. Danach wurden zwischen 1961 und 1989 in der geteilten Stadt mindestens 136 Menschen getötet oder kamen im Zusammenhang mit dem Grenzregime ums Leben. Dies ist das zentrale Ergebnis eines großangelegten Dokumentationsprojekts der Gedenkstätte Berliner Mauer und des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam.

Details

Nach der Bilanz kamen mindestens 98 DDR-Flüchtlinge ums Leben, von ihnen wurden 67 erschossen. 30 Menschen aus Ost und West wurden ohne Fluchtabsichten von Kugeln der DDR-Grenzsoldaten tödlich verletzt, oder sie verunglückten. Darunter sind etwa fünf Kinder aus Berlin-Kreuzberg, die beim Spielen am Gröbenufer ins Wasser fielen, das zum DDR-Gebiet gehörte - daher konnten sie nicht gerettet werden. Ebenfalls mitgezählt wurden acht Grenzsoldaten, die durch Fahnenflüchtige, Kameraden oder Flüchtlinge getötet wurden.

Vier von fünf Todesopfern waren junge Männer zwischen 16 und 30 Jahren. Nur acht Prozent waren Frauen. Mehr als die Hälfte der 136 Todesopfer kam in den ersten fünf Jahren nach dem Mauerbau ums Leben. In den letzten zehn Jahren von 1980 bis 1989 gab es hingegen lediglich 16 Todesopfer.

Herzinfarkte

Weiter ergaben die umfangreichen Forschungen, dass mindestens 251 Reisende während oder nach Kontrollen an Grenzübergängen starben. Dies waren vor allem ältere Menschen, die Herzinfarkte erlitten.

Erfasst hat das Forschungsteam unter Leitung von Hans-Herrmann Hertle und Maria Nooke alle verfügbaren Angaben zu Todes- und Verdachtsfällen. Hinzu kamen eigene Quellenrecherchen und Zeitzeugengespräche. Insgesamt wurden 575 Fälle geprüft.

Definition

Wegen unterschiedlicher Zählweisen gibt es stark abweichende Angaben verschiedener Institutionen. Das Dokumentationsprojekt legte seiner Arbeit daher vorab eine Definition des Begriffs "Todesopfer an der Berliner Mauer" mit zwei Bedingungen zugrunde: Es musste ein Fluchthintergrund oder aber ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang des Todes mit dem Grenzregime gegeben sein.

Anhand dieses Maßstabs konnten 164 Verdachtsfälle ausgeschlossen werden. Beispiele sind Doppelzählungen wegen ungenauer Angaben oder Flüchtlinge, die nach Beschuss schwer verletzt überlebt haben. Bei 16 weiteren Todesfällen - alles Wasserleichen - konnte nicht nachgewiesen werden, ob es sich um Todesopfer an der Mauer handelt oder nicht.

Erfolgreiche Flucht

Auf der anderen Seite steht die Zahl von 40.000 DDR-Bürgern, denen zwischen Mauerbau und Mauerfall auf häufig abenteuerlichen Wegen und oft unter Lebensgefahr die Flucht durch die Sperranlagen gelang. Mehrere Zehntausend wurden aber bereits bei der Planung oder auf dem Weg zur Grenze festgenommen. Statistiken der DDR-Generalstaatsanwaltschaft weisen von 1961 bis 1988 rund 110.000 Verfahren wegen "Republikflucht" beziehungsweise "ungesetzlichem Grenzübertritt" aus.

Die Biografien der 136 Todesopfer sind im Internet unter chronik-der-mauer.de nachzulesen; ergänzt um zahlreiche Wort-, Bild-, Ton- und Film-Dokumente zu ihrer Lebensgeschichte und zu ihren Todesumständen. Die Website ist ein Kooperationsprojekt der Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Deutschlandradio und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.

Gesamtzahlen

Insgesamt seien durch das Grenzregime in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und der DDR zwischen 1945 und 1989 nach neuen Recherchen des privaten Berliner Mauermuseums 1347 Menschen ums Leben gekommen. Im Vergleich zum Vorjahr seien 44 neue Fälle recherchiert worden, teilte die Einrichtung am Checkpoint Charlie am Montag mit. Nicht nur die Zahl der getöteten Flüchtlinge sei erfasst, sondern auch die überraschend hohe Selbstmordrate bei DDR-Grenzsoldaten. Zum Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 1961 legt das Mauermuseum regelmäßig neue Opferzahlen vor.

Von Historikern wurden die Angaben wiederholt angezweifelt. Hinter den jahrelangen Diskussionen stehen unterschiedliche Erfassungs- und Bewertungskriterien. (APA/AP/red)