Eine Gala für ein Millionenpublikum, bei der es schon als fortschrittlich gilt, wenn afroamerikanische Stars einen Preis erhalten: Von so einer Veranstaltung größere Freiräume in Sachen politische Kommentare zu erwarten - das wäre in der Tat blauäugig. Insofern ist es nicht überraschend, wenn im Vorfeld der 75. Oscar-Gala das Aufkommen kritischer Stellungnahmen zum Irakkrieg eingeschränkt wird: dass also Absagen von Kriegsgegnern fast wohlwollend zur Kenntnis genommen werden und weniger Glamour jenen "guten Geschmack" verbreiten soll, den man auch von den Preisträgerreden erwartet.

Der Oscar, er ist eine janusköpfige Angelegenheit. Unbedarftheit und politisches Kalkül gaben sich immer schon die Hand bei einem Event, der etwa in der McCarthy-Ära voll im Dienste der Kommunistenhatz stand, Jahrzehnte später wiederum die Opfer der Schwarzen Listen hochleben ließ - eben weil beim Oscar immer die Haltungen hochgehalten werden, die en vogue sind. Weswegen es auch nie einem Star ernsthaft geschadet hat, wenn er, wie einst Marlon Brando, ostentativ, gleichzeitig aber im Sinne der Show spektakulär durch Abwesenheit glänzte - oder, wie zuletzt der Schriftsteller John Irving (der sich gegen Abtreibungsgegner aussprach), "politisch" agierte.

Das Medien- und Wirtschaftsunternehmen Oscar: Über die Jahrzehnte hinweg hat es immer auch davon berichtet, welche Haltungen die Medien und die Wirtschaft der USA auf ihrer Bühne tolerieren. Und: welche Beschränkungen bzw. Abhängigkeiten der so genannte "Mainstream" mit sich bringt. Zugespitzt formuliert: Es ist durchaus sinnfällig, wenn dies zum 75-jährigen Jubiläum in besonderer Deutlichkeit ausgestellt wird, als Parallel-Event zu einem Krieg, der in den nächsten Jahren von Hollywood noch ausführlich verfilmt werden wird. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.03.2003)