Inwieweit das Leben in einer Industriegesellschaft, die ihre Sinn- und Nutzangebote längst als globalen Imperativ gebraucht, noch "beschädigt" zu nennen wäre - die Frage entbehrt nicht einer gewissen Drolligkeit. Steht doch zu vermuten: Der Kaiser - ob es sich bei ihm nun um das "Pentagon" handelt, oder um das eingebildete Subjekt einer transglobalen Ökonomie - ist nackt. Man hat Theodor W. Adornos Minima Moralia, ursprünglich 1951 erschienen, gerne als Verständigungshilfe für heimatlose Linke benutzt. "Teddys" mannigfaches Nein zu den Segnungen der Kulturindustrie verweigert bis heute kategorisch jede Linderung des Unbehagens an einer Zivilisation, die wir uns so gerne besser und gerechter dächten.
Doch oh Wunder: Die Einsicht in die Reformbedürftigkeit einer zusehends zersplitternden Lebenswelt hält auch der zeitgenössischen Diagnose stand. - Minima Moralia ist noch heute die ideale Fibel, die es verdient, allen Freizeitparanoikern ans Herz gelegt zu werden, die den "großen Anderen" herbeihalluzinieren. ,Minima Moralia' neu gelesen versteht sich als Episoden-Kommentar. Köpfe wie Joseph Vogel, Hans Ulrich Gumbrecht oder Hanns Zischler arbeiten sich an Einzelnotaten ab, um den Blick auf das große Ganze frei zu bekommen. Grundtenor: Adorno war ein staunenswürdiger Bildungsbürger, der im Zweifelsfalle die Verrohung des Dienstleistungspersonals schilderte, wenn er die Verkommenheit der Welt im Ganzen meinte. (Von Ronald Pohl/DER STANDARD; Printausgabe, 22.03.2003)