Nach zwei Tagen Verwirrung über das türkische Vorgehen im Nordirak hat Ministerpräsident Tayyip Erdogan am Sonntag für eine erste Klärung gesorgt. "Die Türkei" so Erdogan, ist im Einvernehmen mit den USA und wird ihre Aktionen im Nordirak "in enger Abstimmung mit den US-Streitkräften durchführen".
Die Nachrichtenagentur Reuters hatte zuvor unter Berufung auf türkische Militärquellen gemeldet, dass türkische Truppen am Wochenende an drei verschiedenen Stellen im Länderdreieck Türkei- Irak-Iran die Grenze überquert hätten. Dies wurde von offizieller Seite jedoch sofort dementiert: Sowohl die Regierung als auch der türkische Generalstab bestritten, dass zusätzliche türkische Truppen in den Nordirak gebracht worden sind. Am glaubwürdigsten klang das Dementi der irakischen Kurden. Ein Sprecher sagte, ihre Milizen hätten keinen weiteren türkischen Einmarsch registriert.
Unabhängig von den bisherigen widersprüchlichen Meldungen steht der Einmarsch allerdings nun definitiv bevor. Nach Berichten in türkischen Medien hat es nach zwei Tagen dramatischer Verhandlungen jetzt tatsächlich eine Einigung mit den USA gegeben. Danach ist die US-Führung unter folgenden Bedingungen bereit zu akzeptieren, dass die Türkei ihre ohnehin vorhandenen Truppen im Nordirak aufstockt:
[] Der Einmarsch findet nicht sofort statt, sondern die USA haben Zeit, die Lage zunächst mit den Kurden zu klären.
[] Es werden keine mechanisierten Einheiten eingesetzt, vor allem keine Panzer.
[] Die türkischen Truppen verpflichten sich, maximal zwölf Meilen, also knapp 20 Kilometer, nicht zu überschreiten. In dieser Zone sollen dann Camps für Flüchtlinge aufgebaut werden und die türkischen Truppen die Möglichkeit haben, die Grenze gegen PKK-Kämpfer, die jetzt eventuell aus dem Nordirak in die Türkei wollen, abzusichern.
Diesem Ergebnis gingen laut Hürriyet, der Zeitung mit den besten Regierungs- und Militärkontakten, zwei Tage "atemberaubender diplomatischer Verhandlungen" voraus. Mehrmals telefonierte US-Außenminister Powell sowohl mit Premier Erdogan wie seinem Kollegen Abdullah Gül. Dabei wurde folgende Rahmenabsprache getroffen: Überflugrechte für US- und britische Kampfflugzeuge, Nutzung türkischer Flughäfen für "humanitäre Zwecke", Nachschub über die türkisch-irakische Grenze in Habur auf der einen Seite, der endgültige Abzug der US-Bodentruppen und der begrenzte türkische Einmarsch im Irak auf der anderen Seite. Tagelang hatte es so ausgesehen, als steuerten Ankara und Washington auf einen Super-GAU in ihren Beziehungen zu. Als die türkische Regierung in der Nacht auf Freitag den Luftraum immer noch nicht freigeben wollte, ohne dafür grünes Licht für einen Einmarsch im Nordirak zu erhalten, war die Stimmung auf dem absoluten Tiefpunkt. Verteidigungsminister Rumsfeld sprach von einer "unglaublich wenig hilfreichen Haltung" der Türkei. Selbst die Gefahr bewaffneter Zusammenstöße zwischen den Nato-Partnern USA und Türkei wurde beschworen.
"Missverständnisse"
Erst in einem längeren Gespräch zwischen Erdogan und Powell sollen dann "Missverständnisse" so weit ausgeräumt worden sein, dass die Türkei ihren Luftraum öffnete und Powell grundsätzlich der türkischen Truppenstationierung im Nordirak zustimmte.
Der Einmarsch, so verspricht Außenminister Abdullah Gül, werde eine zeitlich begrenzte Aktion: "Wir erheben keine territorialen Ansprüche im Irak."
Mittlerweile hat sich die US-Armada, die im Golf von Iskenderun mit der Ausrüstung der 4. US-Infanteriedivision wochenlang auf ihre Ausschiffung gewartet hatte, auf den Weg in den Persischen Golf gemacht. US-Kampftruppen werden damit definitiv nicht mehr über die Türkei in den Irak gebracht.
Gleichzeitig scheinen Amerikaner und Briten ihre Luftaktivitäten von der Türkei aus zu verstärken. Von In¸cirlik aus sollen Tankflugzeuge gestartet sein, alle Flughäfen im Südosten der Türkei wurden für den zivilen Luftverkehr gesperrt.
(DER STANDARD, Printausgabe, 24.3.2003)