Schon heute, zehn Jahre nach Gründung am selben merk-würdigen 9.9.1999, gehören Soma, Österreichs erster Sozialmarkt und die Wiener Tafel zu Meilensteinen moderner Sozialpolitik. Am selben Tag wurden in Linz und Wien gemeinnützige Privatinitiativen tätig. Innovativ, wirksam, treffsicher, helfen sie bedürftigen Menschen, rechtzeitig und unbürokratisch. Höchst zeitgemäße ökologisch-soziale Neuerungen. Beide nach typischen Startproblemen sehr erfolgreich.

Sozialmarkt, "eine Idee, die hilft", ist seither mit 28 Projekten in weiten Teilen Österreichs aktiv. Die Wiener Tafel, einzige in Österreich (in Deutschland gibt es 600 Tafeln, 140 in Planung) versteht sich als "eine Brücke des Ausgleichs zwischen Überfluss und Mangel", zwischen "Wegwerf- und Armutsgesellschaft". Die zwei Sozialinnovationen unterscheiden sich vor allem darin, wie sie im Einzelnen Vergeudungswirtschaft und Mangelökonomie produktiv ausgleichen.

Die Grundidee ist, wie alle Neuerungen, einfach genial und genial einfach - alles hängt an der humanen, integren und logistisch intelligenten Umsetzung. Beide haben simple, klare Ziele, keine hochgestochene "Mission" oder leeres pr corporate social responsibility-Design.

Ziel von Soma ist, "Menschen an der Armutsgrenze zu unterstützen, damit sie sich das leisten können, was sie zum Leben brauchen." Er bietet "Waren des täglichen Gebrauchs zu günstigsten Preisen", die Tafel "Über-Lebensmittel" ganz kostenlos. Für "Verwerten statt Entsorgen" und "Verteilen statt Vernichten" sorgt bei beiden der Vertrieb hochwertiger, frischer Lebensmittel und anderer gespendeter Waren mit kleinen Imperfektionen wie leichten Verpackungsschäden, Fehletikettierungen, baldigem Ablaufdatum usw. Lagerbestände sowie unzählige Tonnen von Probe-, Promotion- und Überschusserzeugnissen an Nahrung und Hygieneprodukten werden an die Ärmsten verteilt statt kostspielig - und umweltbelastend - vernichtet.

Soma bringt Waren im Wert von Millionen Euro, die Wiener Tafel Tag für Tag bis zu zwei Tonnen Lebensmittel an die Bedürftigsten. Beide nutzen die hochgezüchtete Qualitätskonkurrenz, die Nulltoleranz für kleinste Mängel, die allzeit-alles-verfügbar-Manie ("Erbeeren-im-Winter"), den Saisonwaren- und Stichtags-Kult ("kein Osterhase nach Ostern", Tiefkühlprodukte oder Joghurts, die übermorgen ablaufen, dürfen aus Imagegründen schon heute nicht mehr ins Regal) und den Frische-Fetisch, die chronischen Überschuss - und Abfall - erzeugen.

Damit etwa Kunden noch knapp vor Einkaufschluss ohne Warten genug frisches Brot vorfinden werden gewaltige Überschüsse produziert. Etwa 15 bis 20 Prozent des täglichen Brots und 25 Prozent aller Backwaren landen direkt im Müll, 13.000 kg Brot allein in Wien - in einer fernen Nachkriegskindheit mit wachen Erinnerungen an Hunger und Lebensmittelknappheit noch eine Art säkularer Todsünde. "In Wien wird täglich mehr Brot weggeworfen als in Graz gegessen wird", bringen Soma-Präsident Steiner und Tafel-Geschäftsführer Haiderer gleich lautend das hohe - und politisch schmerzfreie! - Umverteilungspotential einprägsam auf den Punkt. (Bernd Marin/DER STANDARD, Printausgabe, 18.8.2009)