Der oberste Ordensmann Bruno Platter. Er untersteht keinem Bischof, sondern direkt dem Papst. Heute hat der Orden 1100 Mitglieder, darunter 100 Priester und 200 Schwestern.

Foto: Robert Newald

12.000 Urkunden lagern im Ordenssitz in der Singerstraße. Die Älteste ist aus 1122.

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Im Archiv des Ordens: ein Dokument aus 1237 mit dem Siegel von Friedrich II.

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Wien - Wenn Dan Brown eine Fortsetzung seiner Da Vinci Code-Reihe schreiben möchte, wird er nirgends auf der Welt so gutes Material finden, wie in Wien. Nur wenige wissen, dass hier, in einer Seitengasse unweit des Stephansdomes, der Hauptsitz einer 800 Jahre alten Bruderschaft liegt, deren Geschichte sich um die Kirche und den Papst ebenso wie um große Schlachten und um mächtige Könige dreht. Und die Gemeinschaft behütet noch heute einen Schatz.

Nur ihr Hochmeister passt nicht ins Bild.Bruno Platter ist kein verschwörerischer Heimlichtuer, sondern ein älterer, freundlicher Herr, der seine Gäste am liebsten im Rittersaal des Ordenshauses begrüßt.

Die drängendste Frage an ihn ist naheliegend: Wie kommt ein junger Schüler aus Südtirol dazu, sich dem Deutschen Orden anzuschließen? "Es war das spezielle Charisma, das mich fasziniert hat" , antwortet Platter nach einer Pause, mit der er die Bedeutung seiner Worte unterstreicht. "Charisma" , werden später auch die anderen Brüder, etwa zehn leben im Ordenshaus in Wien, sagen. Sie verstehen darunter die Anziehungskraft, die von den beiden heutigen Kernaufgaben des Ordens, dem "Helfen und Heilen" , ausgeht.

Ein eigener Ritterstaat

Was an all denAntworten verwundert, ist, dass "von der großen Tradition" der Gemeinschaft nur auf Nachfragen die Rede ist. Dabei hat der Deutsche Orden eine spektakuläre Geschichte hinter sich.

Gegründet wurde er 1190, während des III. Kreuzzuges als Hospitalgemeinschaft des deutschen Kreuzfahrerkontingents, daher stammt auch der Name. Das erste Ordensspital entstand in Akkon, im heutigenNordisrael. Dem Spital wurden auch Verteidigungspflichten auferlegt, 1198 geschah die Umwandlung in einen Ritterorden. Der Orden gründete Niederlassungen in Italien, Spanien, Armenien und im Heiligen Römischen Reich. Seine wichtigste Aufgabe: der Kampf gegen die "Heiden" .

Zur Blüte ihrer Macht stiegen die Ritter erst mit der Gründung eines Staates auf. Anfang des 13. Jahrhunderts rief der polnische Herzog Konrad von Masowien die Ritter zur Missionierung Preußens. Der Ritterbund eroberte große Gebiete im Baltikum und in Teilen Polens. Die Landesherren errichteten sich in Marienburg (polnischMalbork), bei Danzig, eine Residenz. "Die Herrschaft des Ordens im Inneren beruhte auf der Einbindung der deutschen und indigenen Bevölkerung" , sagt der Hamburger Historiker Jürgen Sarnowsky. Nach außen setzten die Ritter ihre blutige Missionierungsarbeit fort und führten Krieg gegen Litauen.

In ihrer Zeit als Landesherren legten die Hochmeister eine beachtliche Sammlung repräsentativer Kostbarkeiten an.

Heute heißt der Herr über diesen Schatz Frank Bayard. Die Schatzkammer des Wiener Ordenshauses steht ebenso unter seiner Leitung wie das Archiv, in dem 12.000 Urkunden aufbewahrt werden. Unter ihnen finden sich Heiligsprechungsurkunden aus dem 13. Jahrhundert ebenso wieDokumente mit dem Siegel Maria Theresias. Pater Bayard ist ein fanatischer Archivar. Neun Jahre hat er bei der Deutschen Bank gearbeitet, als ihn "der Ruf" ereilte. Seine Worte lösen das Rätsel, warum die meisten Geistlichen dem Orden auf der Suche nach Gott und nicht nach großer Geschichte beitraten.

"Wir trauern unserer Vergangenheit nicht nach" , sagt Bayard. "Wir wollen nichts Verstaubtes an uns haben." Den Reiz des Orden mache das "In-der-Gesellschaft-Stehen" aus. Tatsächlich engagiert sich der Orden heute vor allem wohltätig: Er betreibt ein Krankenhaus in Friesach, Alten- und Studentenheime in Südtirol, bietet Drogentherapien in Deutschland an und unterhält ein Mädcheninternat in der Slowakei.

Die Burg verpfändet

"Wenn Ritterlichkeit nicht Kampf, sondern den Einsatz für den Nächsten bedeutet, dann leben die ritterlichen Tugenden bis heute fort" , sagt Hochmeister Platter über die karitative Tätigkeit. Denn offiziell ist 1970 der letzte Ritterbruder verstorben.

Dass die Gemeinschaft außerhalb Polens kaum bekannt ist, dafür macht Platter schlechte Geschichtsbücher verantwortlich.

Dabei ist der Orden mit Österreich eng verbunden. Im 15. Jahrhundert ging der Ordensstaat unter. Im Dreizehnjährigen Krieg (1454-1466) musste der Hochmeister die Marienburg an seine Söldner verpfänden, die die Burg an Polen weiterverkauften. Neuer Sitz der Ritter wurde Mergentheim in Baden-Württemberg. Ab dem 16. Jahrhundert stellten häufig Regenten aus dem Hause Habsburg die Hochmeister. Für die Habsburger waren das ansehnliche Posten, dem Orden sicherte das eine gewisse Rest-Bedeutung. Als 1809 Napoleon den Orden auflöste, wurde die Residenz nach Wien verlegt.

Im Jahr 2000 hat hier Bruno Platter die Leitung übernommen. Zunächst musste er aufräumen: Die Ordenseinrichtungen in Deutschland hatten 200 Millionen Euro Schulden angehäuft. Die Staatsanwaltschaft schaltete sich wegen des Verdachts der Untreue ein. Bayern half schließlich finanziell aus, was zu politischen Turbulenzen führte. Denn Bayerns Opposition warf Laiensbruder Edmund Stoiber vor, das Finanzdebakel mitverursacht zu haben.

Diese Probleme habe man hinter sich gelassen, sagt Platter. Er ließ sparen und Immobilien verkaufen. Die größteHerausforderung bleibt weiter, wie die Ordenseinrichtungen finanziert werden können. Und die Sorge um den Nachwuchs. Denn nach 800 Jahren kämpft der Orden heute gegen die Überalterung in seinen eigenen Reihen.  (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 18.8.2009)