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Brüssel - "Beschränkungen, die teilweise noch aus dem mittelalterlichen Zünftewesen stammen", erkennt die EU-Kommission in den Regelungen für freie Berufe, die in einer Reihe von EU-Mitgliedsstaaten weiter existieren. So ist Österreichs Rechtsberaterbranche die EU-weit am zweitstärksten regulierte: Laut einer aktuellen Studie des Wiener Instituts für Höhere Studien (IHS) im Auftrag der EU-Kommission unterliegen nur griechische Juristen strengeren Regeln.

EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti benutzt die IHS-Studie nun als Anstoß für eine neue Brüsseler Liberalisierungsoffensive: Anwälte, Architekten, Apotheker, Wirtschaftsprüfer und Ingenieure - sie alle sollen Schritt für Schritt von gesetzlichen und berufsständischen Fesseln befreit werden, lautet das Fernziel. Montis Motiv: Der freiere Wettbewerb werde Wachstum und besseren Service bringen.

Konsultationsprozess

Noch geht es nicht um konkrete Brüsseler Verordnungen oder Richtlinien, doch den Konsultationsprozess hat der Wettbewerbskommissar mit einer Rede vor der deutschen Bundesrechtsanwaltskammer Ende vergangener Woche in Berlin offiziell eingeleitet.

Die IHS-Studie zeigt: Die Regulierung freiberuflicher Dienstleistungen unterscheidet sich von einem EU-Staat zum anderen erheblich - bei Preisen, Werbung oder berufsübergreifender Zusammenarbeit. Die Forscher haben dazu die Vorschriften für fünf freie Berufe in den EU-Ländern verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass Österreich überall zu den am stärksten regulierten Märkten gehört. Bei Juristen, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern liegt die Republik gar auf Rang zwei der Regulierungswut. Dabei ließ der Europäische Gerichtshof im Vorjahr ständische Systeme in den Entscheidungen Arduino (Gebührenordnung für Anwälte) und Wouters (berufsübergreifende Sozietäten) weit gehend unangetastet.

Anwaltschaft uneins

Die österreichische Anwaltschaft ist gespalten, wenn es um weitere Liberalisierung geht. Während Einzelanwälte und Kleinsozietäten auf dem Status quo beharren und dabei von ihrer Standesorganisation, dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, unterstützt werden, wollen die Großkanzleien mehr Freiheiten. Schon jetzt kooperiert so manche von ihnen - enger als erlaubt - auch mit Wirtschaftstreuhändern oder multinationalen Beratungsfirmen. (Jörg Wojahn, DER STANDARD Print-Ausgabe, 25.3.2003)