Alle Umfragen bestätigen, dass Ministerpräsident Wladimir Putin nach wie vor in Russland hoch beliebt ist, nicht zuletzt deshalb, weil er den von den meisten Russen befürworteten Anspruch symbolisiert, den früheren (sowjetischen) Einfluss in der Welt zurückzugewinnen. Nach den Turbulenzen und Demütigungen der Jelzin-Ära wird unter der autoritären Herrschaft Putins Russland als eigenständige Großmacht mit einer gewissen inneren Konsolidierung im Westen akzeptiert und respektiert; im "nahen Ausland" , etwa in der Ukraine und im Kaukasus gerade deshalb gefürchtet und misstraut.

Während die deutsche Kanzlerin und der russische Präsident Medwedew sich kürzlich in Sotschi am Schwarzen Meer "im guten Klima" um Kooperation in der Krise bemüht haben, rief fast gleichzeitig Russlands Präsident (von Putins Gnaden) den ukrainischen Staatschef Jutschtschenko in einem zwischen Staatsoberhäuptern unabhängiger Staaten wohl beispiellosen geharnischten Brief wegen dessen angeblich "antirussischem Kurs" in der Gastransportfrage zur Ordnung. Unverblümt drückte Medwedjew die Hoffnung aus, dass Juschtschenko nach der Präsidentenwahl im kommenden Jahr abgelöst werden würde.

Die demonstrativen militärisch-wirtschaftlichen Hilfszusagen bei den Blitzbesuchen der Moskauer Führungsspitze Putin/Medwedjew in den von Georgien abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien lösten ein Jahr nach dem Krieg heftige Vorwürfe der Provokation von georgischer Seite aus. Indessen gehen die Morde an Menschenrechtsaktivisten im Nordkaukasus ebenso weiter wie die blutigen Attentate islamistischer Extremisten gegen die von den Russen eingesetzten Regierungsfunktionäre der Teilrepubliken.

Trotzdem bemühen sich die lückenlos kontrollierten russischen TV-Sender mit Erfolg, den Schein einer heilen Welt zu erwecken. Sie zeigen etwa, wie strahlende und dankbare abchasische Frauen Putin bei seinem Besuch in Suchimi mit einem Blumenstrauß begrüßen. Einige Tage vorher erschien der starke Mann Russlands als Symbol der Männlichkeit mit trainiertem nacktem Oberkörper während seines Urlaubs.

In seiner scharf formulierten Betrachtung "Wladimir Superstar" wies der langjährige Moskau-Korrespondent des Focus, Boris Reitschuster, diese Woche auf einen längst vergessenen, symbolträchtigen Tag hin: Vor zehn Jahren, am 16. August, bestätigte die Duma auf Jelzins Vorschlag Putin als Ministerpräsident. Viele Abgeordnete spotteten über den Geheimdienstchef, und die Zeitung Parlamentskaja gaseta machte sich über "eine erneute Schnapsidee des Präsidenten" lustig, der einen kaum bekannten Menschen "ohne jedes Charisma und jede Erfahrung in der Staatsführung" zu seinem Nachfolger machen wolle.

Die Karriere des Ex-KGB- Offiziers bestätigt die Worte Isaiah Berlins, des britischen Denkers: "Es gibt Augenblicke in der Geschichte, in denen Individuen ... den Gang der Dinge frei verändern können." Dank auch den Wirtschaftserfolgen aus dem Erdgas- und Erdölgeschäft erwies sich Putin als ein begnadeter und unbarmherziger Taktiker der Macht. Der Preis für ein gewisses Maß an Stabilität ist aber die unkontrollierbare Macht in seinen Händen. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 20.8.2009)