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O-Ton: Der ORF hat ersucht, den O-Ton von Alexander Wrabetz über sich und seine Direktoren nicht anzubieten. Begründung: Die Verwendung von MP3-Mitschnitten des Interviews auf etat.at sei nicht besprochen gewesen. Wenn's so ein Anliegen ist...

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Mal sehen, was die Politik mit dem ORF noch anstellt: ORF-Chef Alexander Wrabetz im Nationalrat. Er hofft, dass ihm die Republik doch noch Befreiungen von TV-Gebühren abgilt. Im Herbst steht das neue ORF-Gesetz an.

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STANDARD: Der Teich vor dem ORF, in dem sich Roland Rainers Gebäude spiegeln soll, ist seit Wochen trockengelegt. Ein Bild für die große Dürre auf dem Küniglberg?

Wrabetz: Das zeigt nur, dass architektonische Spielereien die Gefahr ständiger Reparatur in sich bergen, Altlasten, die Geld kosten, aber unserem Publikum nichts bringen. Der Teich wird immer wieder zur Reinigungung und Reparatur ausgelassen, also kein spezifisches Bild für die aktuelle Situation.

STANDARD: Heuer passt es besonders gut. Zuschauer, Geld, interne Stimmung, Verständnis der Politik, alles ziemlich auf dem Trockenen.

Wrabetz: Natürlich gibt es große Herausforderungen. Aber schauen Sie sich die Ausgangslage zu Beginn des Jahres an: Nachweislich die größte Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte. Alle Medien haben ganz massive Probleme. Bei uns überschneidet sich das mit dem Strukturwandel der Digitalisierung, mit der die Konkurrenz der Werbefenster deutscher Privatsender stark gewachsen ist. Aber im Gegensatz zu Jahresbeginn haben wir einen klaren Weg: Die Politik mag noch diskutieren, wie welches Organ des ORF zusammenzusetzen ist. Aber ihr ist klar, der ORF soll in seiner Gesamtheit erhalten bleiben. Und, bei allen Schwierigkeiten, wir haben die Voraussetzungen, die Kostenseite in den Griff zu bekommen. Trotz dieser schweren Konjunktur- und damit Werbekrise. 

STANDARD: Die Kostenseite sieht noch nicht ganz im Griff aus: Sachkosten über Plan, deutlich höherer Verlust als budgetiert.

Wrabetz: Wir sind auf dem Weg: Gegenüber den Rahmenbedingungen des Jahres 2007 werden wir Ende 2009 insgesamt schon 85 Millionen eingespart haben. Und wir sparen jetzt, für 2010 noch einmal 80 bis 90 Millionen ein. Das sind allein nächstes Jahr fast 10 Prozent des Umsatzes.

STANDARD: Wo kamen die 100 Millionen?

Wrabetz: Wir sind bei den Personalkosten schon seit 2007 massiv auf die Bremse gestiegen, zum Beispiel durch Nicht-Nachbesetzungen und sehr maßvolle Lohnrunden, die durchwegs unter dem Tariflohn-Index lagen. Ebenso massiv bei den Sachkosten. Rechtekosten, Zukäufe, angemietetes Personal, Investitionen, das sind die großen Sachkostenpositionen. 

STANDARD: Können Sie mir Beispiele nennen, wo sie konkret eingespart haben? 85 Millionen Euro sind ja kein Mailüfterl. Sie werden ja nicht überall fünf Euro heruntergehandelt haben.

Wrabetz: In Wirklichkeit sind die Sachkostenbudgets in den einzelnen Bereichen, wo der Jammer groß ist, stark gesunken, ohne die Leistung einzuschränken. Es wäre angenehm, wenn es nur drei Schrauben bräuchte, wie manche Menschen aus der früheren Monopolverwaltung glauben. Auch bei den Personalkosten lagen unsere Lohnrunden weit unter den übrigen Abschlüssen. Wir haben 170 Leute weniger als vor eineinhalb Jahren.

STANDARD: Im ORF selbst oder im Gesamtkonzern samt Töchtern?

Wrabetz: Im ORF, ständiges Personal.

STANDARD:  Und im Gesamtkonzern?

Wrabetz: Ist die Einsparung ein bisschen geringer. Es gab Töchter wie die ORS, die ausgeweitet haben.

STANDARD: Von außen wirkt es, als würde nur der Personalstand im ORF selbst geringer. Sprich: Auslagerung in Töchter.

Wrabetz: Der Eindruck war vielleicht bei den Auslagerungen 2003 richtig. Heute wachsen einfach manche Töchter, die ORS oder die GIS, der die Telekombefreiungen die Verwaltung aufwändiger machen. Und dann sind wir schon bei ein, zwei Jobs im Onlinebereich. Wenn's darum geht, die Produktivität zu steigern und die Kosten zu reduzieren, muss ich die Stammbelegschaft betrachten.

STANDARD: Hängt Ihnen bei den Personalkosten nicht noch immer nach, dass Sie sich als Finanzdirektor vor sechs Jahren nicht gegen die Anstellung von mehr als 1000 freien Mitarbeitern gewehrt haben?

Wrabetz: Im Gegenteil, ich finde diese Maßnahme heute bestätigt, wenn ich mir die Diskussion um freie Mitarbeiter bei der APA ansehe: Der ORF hatte ein Problem mit dauerhaft beschäftigten freien Mitarbeitern. Er wäre der erste Paradefall gewesen, wie die Gewerkschaft sich nun die APA aussucht als, unter Anführungszeichen, verwundbares öffentliches Unternehmen. Sonst hätte sie sich für diese Art Sammelklage und Prüfung den ORF ausgesucht. Das war ja alles angekündigt. Es war notwendig, diese Altlast zu lösen, die uns die Menschen aus der Monopolverwaltung hinterlassen haben. Man kann diskutieren, ob das 1400 oder 1300 ...

STANDARD: Wieviele waren es nun wirklich?

Wrabetz: In Vollzeitäquivalente umgerechnet waren 1800 freie MItarbeiter betroffen. 200 haben wir damals echt abgebaut. 200 sind in Tochtergesellschaften gegangen. 200 in ausgelagerte Produktionen, etwa zu Produzenten des Kinderprogramms. Und 1200 haben wir angestellt. Handverlesen die jahrelang durchbeschäftigten, mit fixem Arbeitsplatz, in Hierarchie und Dienstpläne integriert. Das war zu sanieren.

Der Deal war: Wir können diese Menschen nicht zu den bisherigen ORF-Konditionen anstellen, in die sich die Betroffenen aber zum großen Teil hätten einklagen können. Hätten sie das getan, wäre der ORF schon mit der Klage insolvent gewesen. 

STANDARD:  Weil?

Wrabetz: Der ORF hätte sicher um 200 Millionen Euro für eine Sammelklage auf die alten Dienstverträge mit anteilig Abfertigung, Pension und Prozesskosten rückstellen müssen. Man kann heute streiten, ob man mit 1100 oder 800 Anstellungen ausgekommen wäre. Der Ansatz war aber ähnlich wie heute bei den Verlegern. Die stellen ihre freien Mitarbeiter in Töchter - "Content Engines" - nach anderen Kollektivverträgen an. Wir haben damals einen schlankeren Kollektivvertrag ausgehandelt, der aber die Notwendigkeiten des Journalistengesetzes eingehalten hat. Wenn schon alle Probleme, die ein Unternehmen haben kann, gleichzeitig kommen, dann haben wir wenigstens dieses eine schon gelöst.

STANDARD: Ehemalige ORF-Manager sagen, diese Anstellung 2003 sei heute eines Ihrer größten Probleme.

Wrabetz: Sonst hätte man das noch ein paar Jahre geschleppt, und das Problem wäre nicht kleiner geworden. Die Alternative wäre gewesen, in den Jahren ab 1990, vor allem 1994 nicht soviele freie Mitarbeiter zu beschäftigen, um formal den Stand der Angestelltenzu senken.

>>> Wrabetz zu Bonuszahlungen, Verhandlungen mit dem Betriebsrat und Kampfmaßnahmen

STANDARD:  Wenn wir schon beim Personal sind: Wie weit sind die Sparverhandlungen mit dem Betriebsrat, der schon über die allzu weit gehenden Begehrlichkeiten der Geschäftsführung mosert?

Wrabetz: Wir kommen voran. Ich will laufende Verhandlungen nicht kommentieren.

STANDARD: Bis wann müssen sie abgeschlossen sein?

Wrabetz: Im Herbst.

STANDARD: Sehen Sie Verständnis auf Seiten des Betriebsrats für Ihre Sparpläne, weniger Betriebs-Feiertage, Pensionsbeiträge kürzen, merklich weniger Personal und so weiter?

Wrabetz: Gegen den Begriff Verständnis würde sich der Betriebsrat sicher verwahren. Aber nach meinem Eindruck gibt es in Betriebsrat und Belegschaft ein Problembewusstsein. Es gibt keinen Zweifel, dass sich das Unternehmen in einer schwierigen Situation befindet. Die Belegschaftsvertretung fordert ein ausgewogenes Paket, sozial ausgewogen, es muss Besserverdiener mehr treffen und Ungerechtigkeiten im System entschärfen. Und wenn die Belegschaft schon in der Geschichte des ORF einmalige Opfer bringt, erwartet sie, dass die Politik das anerkennt.

STANDARD: A propos Besserverdiener: Wie geht's denn mit den Bonuszahlungen an die Geschäftsführung weiter?

Wrabetz: Für 2009 haben Generaldirektor, Direktoren und Landesdirektoren schon komplett darauf verzichtet, zudem auf die Valorisierung ihrer Gehälter. Wer weiß, ob man alle Ziele erreicht hätte, aber das bedeutet: Die Geschäftsführung hat auf bis zu 18 Prozent des möglichen Gehalts verzichtet.

STANDARD:  Und 2010?

Wrabetz: Wenn wir von den Mitarbeitern, den Lieferanten, allen unseren Stakeholdern Bereitschaft verlangen, den Sparkurs mitzutragen, wird auch die Geschäftsführung mitgehen. Wie und in welcher Form, werden wir noch festlegen. Nicht wegen der absoluten Beträge, sondern wegen der Symbolik. Wenn alle in den sauren Apfel beißen, muss das auch das Management tun. 

STANDARD: In den Redaktionen gärt es in Sachen Sparen offenkundig, schon, man hört und liest von Kampfmaßnahmen. Stellen Sie sich auf einen heißen Herbst ein?

Wrabetz: Wenn unsere Sparmaßnahmen niemand im Unternehmen auffallen oder aufregen würden, hieße das:
Wir gehen nicht hart genug vor. Mir ist bewusst, dass wir an die Grenzen gehen. In vielen Bereichen wird der Druck auf die Mitarbeiter stark steigen. Im Schnitt zwölf Prozent weniger Personal, in manchen Bereichen sind's mehr, viele davon Leistungsträger. Sehr viele, sehr gute Leute gehen. Die Arbeit muss intelligent auf die anderen verteilt werden.
Es ist klar, dass da eine gewisse Spannung entsteht. Es gibt halt keine Alternative. Der Betriebsrat hat die Arbeiterkammer zwei Gutachten erstellen lassen. Die hat bestätigt, dass ich nicht schwarz male, und es keine Alternative zum Sparen gibt. Es sei denn, man trennt sich von ganzen Bereichen.

STANDARD:  Und wie wär's damit? Zum Beispiel die Technik auslagern?

Wrabetz: Ich spreche von redaktionellen Leistungen. Wenn ich einen Bereich auslagere und die Leistung zukaufe, hat sich noch nicht viel geändert. Wir versuchen, das Leistungsprofil aufrecht zu erhalten. 

STANDARD: Wenn die Belegschaft Ihr Sparpaket nicht anerkennt, sind Kündigungen der nächste Schritt, hieß es.

Wrabetz: Ich will jetzt keine Keulen schwingen und Drohungen austauschen. Es gibt harte, konstruktive Gespräche. Entweder, das Unternehmen, sein Stiftungsrat, seine Geschäftsführung, seine Mitarbeiter, sein Betriebsrat. nimmt sein Schicksal selbst in die Hand. Sonst tut's wer anderer.

STANDARD: Wer genau?

Wrabetz: Die Politik.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass die inzwischen von ihren Plänen abgekommen ist, den ORF und seine Führung umzukrempeln?

Wrabetz: Ich glaube, seit 2. April ist sehr vieles klar. In der Resolution des Stiftungsrates sind die Eckpunkte geklärt, wohin es gehen soll. Und die Politik signalisiert: Geht jetzt diesen Weg. Ob sie an den Organen des ORF etwas so oder so ändert, hat mit dem Weg nicht soviel zu tun. Das einzige, was ein bisschen drängt, ist die Frage der finanziellen Rahmenbedingungen. Also ob die Republik dem ORF die Gebührenbefreiungen abgilt. Und ob die Werberegeln zu unseren Lasten geändert werden.

STANDARD:  Wie drängend ist die Gebührenrefundierung? Heuer wird das ja für 2010 nicht mehr kommen, oder?

Wrabetz: Warum nicht? Der Kanzler, aber auch Stimmen aus der ÖVP und dem Stiftungsrat haben erklärt:
Wenn der ORF seine maximalen Sparanstrengungen unternimmt, kann man über einen finanziellen Beitrag der Politik reden. Erst müssen wir unsere Maßnahmen jetzt durchkriegen. Dann muss auch die Politik entscheiden. Ich verstehe schon, die Budgetsituation des Bundes ist schwierig. Aber die wird nächstes Jahr nicht leichter sein.

Es war immer klar: Das Geld ginge nicht in Strukturen des ORF, sondern in österreichisches Programm und die Produktionswirtschaft. Da wird man beizeiten was tun müssen, oder allen sagen: Kommt nicht. Dann muss sich das Unternehmen und die Branche darauf einstellen. Das hat dann andere Konsequenzen.

>>> Wrabetz über Eigenproduktionen und Einsparungen beim Programm

STANDARD:  Das heißt, sie müssten dann 2010 ihre Produktionsmittel für die Filmwirtschaft drastisch einschränken? Mehr als die 5,5 Millionen aus dem Förderabkommen? Wieviel?

Wrabetz: Wir sind mitten im Budgetierungsprozess. Aber klar ist: Wir haben dann 440 Mitarbeiter weniger. Wir werden auch bei den Pro-Kopf-Kosten reduzieren müssen. Das Leistungsspektrum von Information und Regionalität wollen wir nicht einschränken. Wir sparen schon mehr als 80 Millionen für 2010 ein. Notwendig wäre aber, mit Eigenproduktionen in die Offensive zu gehen. Gerade, wo uns einiges gelungen ist, von "Schnell ermittelt" bis "Lottosieger". Wenn wir absehen, dass es nur schlechter wird, müssen wir der Produktionsbranche, das sind einige tausend Leute, gemeinsam mit der Politik sagen: Das wird es so nicht mehr geben.

STANDARD:  Der "Sisi"-Zweiteiler von Xaver Schwarzenberger signalisiert: Der ORF steht mit dem Rücken zur Wand:
Das ZDF plant ihn für Ende Dezember, der ORF will ihn erst Anfang 2010 spielen, weil er erst mit der Ausstrahlung dem letzten Teil der Produktionskosten zahlen muss. Auch wenn dem ORF dadurch ein paar 100.000 Zuseher entgehen?

Wrabetz: Unsere Beteiligung sind zwei Millionen Euro. Ein relativ großer Brocken. Für die Summe muss ich im Radio schon fast einen halben Sender zusperren. Wenn wir die geplanten 30 Millionen Minus möglichst wenig überschreiten wollen, spielen zwei Millionen auf oder ab eine Rolle. Solche Termindiskussionen gab es schon so oft. Das ist normales Geschäft. Aber natürlich ist es jetzt enger.

STANDARD: Enger denn je?

Wrabetz: Sicher: Voller Strukturwandel, kombiniert mit voller Konjunkturkrise.

STANDARD:  Der Stiftungsrat verlangt vom ORF 2010 ein ausgeglichenes Ergebnis. Geht sich das aus? 

Wrabetz: Es ist unser klares Ziel und muss geschafft werden. Wir sollten uns auf die Einsparungen konzentrieren. Wir müssen noch 83 Millionen weniger ausgeben. 

STANDARD:  Geht es sich auch aus, wenn die Republik die Gebührenbefreiungen nicht abgilt?

Wrabetz: Bekommen wir die Refundierung nicht, können wir uns bestimmte Dinge nicht mehr leisten.

STANDARD:  Nämlich?

Wrabetz: Das Volumen von Sport Plus zum Beispiel. Sicher ist das eine Frage der Zukunft des Orchesters. Eben alles, was nicht unbedingt zum Kernauftrag gehört. Und, wie gesagt, Filmförderung und Produktionsaufträge. Es blutet mir bei jeder dieser Maßnahmen das Herz, und ich hielte sie volkswirtschaftlich für nicht sinnvoll. Wir investieren in Relation das Zehnfache der deutschen öffentlich-rechtlichen Kollegen in die Filmbranche. Der ORF hat die Verantwortung für ganze Branchen.

STANDARD:  Die Teilrefundierung wäre eigentlich eine Art Abwrackprämie für den ORF - nur ohne ihn zu verschrotten.

Wrabetz: Die ökonomischen Probleme des ORF wurden durch politische Maßnahmen ab 2000 geschaffen, von den Beschränkungen des ORF-Gesetzes über die forcierte Einführung des digitalen Antennefernsehens bis zur Streichung der Gebührenrefundierung. Privat-TV hat bis jetzt keinen einzigen österreichischen Film produziert. Dem ORF entgehen durch diese politischen Entscheidungen zirka 200 Millionen Euro pro Jahr. Wenn man vom ORF umfassende Leistungen wünscht, muss man ihm zumindest teilweise geben, was ihm zusteht. Es wäre eine konjunkturbelebende Maßnahme, die ganz schnell, ganz viele Arbeitsplätze in der Filmwirtschaft schaffen oder sichern würde. Sicher österreichische Arbeitsplätze. Wir beschäftigen nachweislich in Österreich Kameraleute, Cutter und so weiter für unsere Filmproduktionen.

Wrabetz zum neuen ORF-Gesetz und einen ORF ohne Werbung

STANDARD:  Zwischen den Zeilen hört man heraus: Von der Auto-Prämieprofitierten insbesondere Hersteller im Ausland. Die SPÖ hat den ORF gebeten auszurechnen, was die Vorstellungen der ÖVP für das nächste ORF-Gesetz so kosten. Wissen Sie's schon? Und haben Sie die Aufstellung schon dem Kanzleramt übermittelt?

Wrabetz: Über den Briefverkehr mit dem Kanzleramt möchte ich nicht reden. Klar ist, dass die Forderungen des Privatsenderverbands unerfüllbar sind, die sich zum Teil bei der ÖVP wiederfinden. Sie eröffnen einen Teufelskreis.

STANDARD: Nämlich?

Wrabetz: Wir schaffen mit Einsparungen ein Kostenziel X. Kaum haben wir das geschafft, wird die Ziellinie 20 Meter nach hinten verlegt, indem man uns die Werbung in der Primetime oder online streicht.

STANDARD: A propos: Wie soll den ORF ein Verbot der Onlinewerbung 20 Millionen kosten, die Zahl kam vom Küniglberg, wenn ORF.at nur höchstens zwölf umsetzt?

Wrabetz: Derzeit rund zehn. Aber das ist bekanntlich das wachsende Werbesegment. Die 20 Millionen sind eine durchaus realistische Größenordnung für die kommenden Jahre - wenn man die Wachstumsraten extrapoliert, und Österreich hinkt im Online-Werbemarkt international ja hinterher.

STANDARD: Nichts über den Briefverkehr mit dem Kanzleramt, aber: Wissen Sie schon, wo Sie die Kosten der Forderungen ansetzen?

Wrabetz: Die Forderungen des Privatsenderverbands kosten 120 Millionen Euro. Knapp unter 100 Millionen macht die Werbung ab 20 Uhr aus, auf Basis der Zahlen von 2008.

STANDARD: Bisher galt, die Werbung zwischen 19 und 20 Uhr bringt den überwiegenden Anteil der TV-Werbeumsätze - von heuer erwarteten insgesamt kaum 180 Millionen im Fernsehen.

Wrabetz: Die Werbung ab 20 Uhr bringt in Summe genau die Hälfte unseres TV-Werbeumsatzes.

STANDARD:  Müssten Sie nicht in dieser Wirtschafts- und Werbekrise folgendes Modell freudig begrüßen: Der ORF bekommt alle Gebühreneinnahmen, auch die von Bund und Ländern, und verzichtet dafür komplett auf Werbung?

Wrabetz: Es ist nicht realistisch, 250 Millionen aus Bundes- und Landesbudgets zu holen, wenn schon die 60 Millionen Gebührenrefundierung so schwierig sind.

STANDARD: Aber wünschen müssten Sie sich das, oder?

Wrabetz: Nein. Es würde uns die Arbeit gerade in Zeiten wie diesen erleichtern. Trotzdem hielte ich es im Abtausch gegen Werbung für falsch. Wir sind und bleiben die relevanteste elektronische Medienplattform. Verbiete ich dort Werbung, bedeutet das mittelfristig den Todesstoß für eine eigenständige österreichische Werbewirtschaft. Nur für ein paar Werbefenster deutscher Sender Kampagnen zu konzipieren, mit denen man große Teile der Bevölkerung nicht sinnvoll erreiche, das lohnt doch nicht. Gegen dieses Modell müsste sich die Wirtschaft wehren. 

STANDARD: Die privaten Sender würden das wohl anders sehen.

Wrabetz: Zum zweiten bedeutet die Werbefinanzierung eine Form von Unabhängigkeit. Nicht gerade in Zeiten der größten Werbekrise, aber die wird ja auch vorbei gehen. Ein zweites Einkommens-Standbein eben. Und drittens muss sich der ORF auch um die Zuschauer bemühen, und was ihnen zu gefallen hat, definiert er sinnvollerweise nicht alleine. Er steht also unter einem realen Quotendruck. 

STANDARD: Zuschauerziele können Sie sich auch ohne Werbung setzen.

Wrabetz: Natürlich geht das. Aber die interne Diskussion wäre eine andere.

STANDARD: Wenn wir schon bei der Abhängigkeit von der Wirtschaft sind: Warum hat der ORF derart hohe Finanzanlagen - dass ihm 2008 40 Millionen Finanzergebnis wegbrechen können?

Wrabetz: Es ist betriebswirtschaftlich sinnvoll, Sozialkapital, also Pensions- und Abfertigungsrückstellungen, mit Finanzanlagen zu hinterlegen, um im Zeitpunkt der Auszahlung nicht den operativen Betrieb mit dem Liquiditätsabfluss zu belasten. In diesem Teilbereich muss der ORF wie eine Pensionskasse wirtschaften. Was ich jährlich bei Rückstellungen dazu dotieren muss, entspricht grob den - im Regelfall vorhandenen - Zugewinnen aus Finanzanlagen. In Einzeljahren kann es allerdings auch negative Ergebnisbeiträge geben, so wie etwa im Jahr 2008, dieser lag allerdings deutlich unter den genannten 40 Mio. EUR. Hier war der ORF genauso betroffen wie die Pensionskassen. Weil wir das in der Bilanz aber nicht saldieren, haben wir in Normaljahren ein relativ hohes Finanzergebnis. Aber im Wesentlichen, außer in ganz guten Jahren, finanzieren wir damit nicht das Unternehmensgeschäft, sondern das Sozialkapital. Und weil wir ein ausgeglichenes Ergebnis ansteuern ...

STANDARD:  ... braucht man quasi in normalen Jahren ein operatives Minus.

Wrabetz: Sonst hätten wir einen Gewinn. Dann würde die EU, nach ihrer Systematik, höhere Gebühren, als für den Auftrag nötig, feststellen, und diese Einnahmen kürzen. Andere Unternehmen haben ihr Sozialkapital nicht mit 400 Millionen Euro zu 100 Prozent mit Wertpapieren gedeckt. Auch der ORF hatte das nicht zu Zeiten von ORF-General Gerd Bacher und seinem Finanzdirektor Peter Radel. Genau genommen, war der ORF damals bilanztechnisch überschuldet: Die Pensionsverpflichtungen waren nach den heutigen Standards nicht voll bilanziert, geschweige denn, zu 100 Prozent mit Wertpapieren gedeckt. Das dargestellte bilanztechnische Problem haben alle Unternehmen, deren Ziel die schwarze Null ist - nur bilanzieren und kommunizieren die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender nach einem anderen System, also fällt das nicht so auf. In Zukunft, wenn wir nach dem EU-System der sogenannten Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags berichten werden, fällt diese Fragestellung, die immer wieder zu Mißverständnissen führt, ohnehin weg.

STANDARD:  Stichwort TW1: Man hört von Verkaufsplänen für den - derzeit kommerziell zu führenden - Tochtersender.

Wrabetz: Mein Plan ist: Wenn das EU-Wettbewerbsverfahren abgeschlossen ist, TW1 nach einem Public Value Test in einen gebührenfinanzierten, öffentlich-rechtlichen Infokanal umzuwandeln.

STANDARD: Und dafür haben Sie Geld?

Wrabetz: Danke für den Hinweis. Also, Bedingungen: Public Value Test und Geld. Soviel ist das nicht, da geht es um geschicktes Recyling und Ergänzung von bestehenden Produktionen. Aber ohne Geld, ohne Finanzierungspielraum hat es keinen Sinn, das Leistungsspektrum zu erweitern. TW1 wäre mit seiner technischen Reichweite die ideale Trägerrakete. Wenn nicht, fragt sich: Will man TW1 langfristig als kommerziellen Spartensender betreiben - oder verkauft man?

>>> Wrabetz auf die Frage, ober er bis Ende 2011 noch Generaldirektor sei

STANDARD:  Glauben Sie, dass Sie Ende 2011 noch Generaldirektor sind?

Wrabetz: Ja.

STANDARD:  Mit demselben Direktorium?

Wrabetz: Das ist immer eine Frage, wo sich Dinge ändern können. Aber momentan habe ich keinen konkreten Plan, was zu ändern.

STANDARD:  Würden Sie sich wünschen, bis 2011 mit diesem Direktorium zu operieren?

Wrabetz: Ich kann's ja jederzeit ändern.

STANDARD:  Ach so? Aber Sie brauchen schon ...

Wrabetz: ...eine Mehrheit im Stiftungsrat. Aber davon gehe ich schon aus. Wir stehen ja unter einem hohen Erfolgsdruck. Solange jedem klar ist, dass er sein Maximum gibt und auch erreicht, wird's ja keine Diskussion geben.

STANDARD:  Haben Sie den Eindruck?

Wrabetz: Wenn eine Diskussion entsteht, dann wird man sich der Diskussion stellen.

STANDARD:  Würden Sie eine solche Diskussion von sich aus angehen?

Wrabetz: Nein. Dass die Tagesmarktanteile unter Druck sind, ist klar. Das wird sich nicht ändern. Da muss man realistische Zielparameter definieren, was man sinnvollerweise will. Es ist nicht sinnvoll, mit Sat.1 am frühen Nachmittag zu konkurrieren, wo wir nicht investieren, aber die eine Gerichtsshow nach der anderen machen können. Der Tagesmarktanteil ist eine Art Fetisch - in Wirklichkeit kommt es auf die Werbeblockreichweite in der Prime Time an. Aber ganz außer acht lassen, darf ich den Tagesmarktanteil nicht. Wenn wir 88 Sender pro Haushalt haben und nicht mehr 30, dann ist klar, dass ich nicht mehr 50 Prozent Marktanteil habe. Und wenn jetzt Servus TV dazukommt mit 0,3 Prozent, wird auch das uns ein Zehntel kosten.

Wrabetz zu Formel 1, Fußball und Skifahren, ORF-Zentrum

STANDARD: Servus TV, gutes Stichwort: Dräut da ernste Konkurrenz bei den Sportrechten? Die Verhandlungen mit der Bundesliga stehen an, Formel 1 auch bald.

Wrabetz: Möglicherweise entsteht da mit Herrn Mateschitz auch ein neuer Rechtekonkurrent. Aber ich weiß zuwenig, wie das Senderprofil aussehen soll. Medien sind so schwer mit anderen Branchen vergleichbar: Man sieht, dass Entscheidungen hier nicht immer nur rationalen Mustern folgen, sondern auch den Emotionen vermögender Menschen, sie wollen Fernsehen machen. Keiner würde sagen: Weil' s so lustig ist, engagiere ich mich in Zeiten wie diesen in der Autozulieferindustrie,das gibt mir einfach soviel. Aber ein Fernsehsender nach eigenem Gutdünken zu machen sehr wohl - das ist eine Besonderheit der Medienbranche.

STANDARD: Formel 1 können Sie sich eh nicht mehr leisten?

Wrabetz: Formel 1 ist eine strategische Entscheidung: Jetzt steigt BMW aus und investiert das Geld in umweltfreundliche Technologien. Vielleicht sollte dann der ORF diese Rechtekosten besser in österreichische Produktionen investieren.

STANDARD:  Die österreichische Fußballbundesliga wollen Sie unbedingt?

Wrabetz: Die Bundesliga muss unsere finanzielle Situation verstehen. Andererseits brauchen wir eine Bundesliga, die einen Spielbetrieb aufrechterhalten kann. Also hoffe ich auf eine gemeinsame Lösung. Die Bundesliga hat sich heute noch nicht ganz von ihrer ORF-Pause erholt. Ich glaube, sie wird das nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Und wir sind auch interessiert, die Zusammenarbeit fortzusetzen.

STANDARD: Die Ski-Übertragungsrechte zu verlieren, wäre für den ORF eine Katastrophe?

Wrabetz: Das werden wir nicht tun.

STANDARD: Also Skirechte um jeden Preis? Eine perfekte Verhandlungsbasis.

Wrabetz: Nein. Auch beim Skiverband ist die zentrale Frage klar: Hat man einen starken nationalen TV-Carrier, der diesen Sport auch hochhält? Daher gehe ich davon aus, dass es vernünftige Rahmenbedingungen geben wird. Dass es für alles einen Punkt gibt, an dem wir nicht mehr mitgehen, ist schon möglich.

STANDARD: Was dürfen wir von der ORF-Programmpräsentation Anfang September erwarten?

Wrabetz: Ein Feuerwerk von Programmen ...

STANDARD: ... die der ORF halt leider nicht finanzieren kann?

Wrabetz: Der ORF ist trotz Sparkurs der Sender mit dem umfassendsten und vielfältigsten Angebot im deutschen Sprachraum. Ganz toll werden die Dokus zum Zweiten Weltkrieg im Dokubereich. Wir haben die Olympischen Winterspiele in Vancouver, die Champions League und die Fußball-WM in Südafrika. In der Unterhaltung wird "Das Rennen" eines der Highlights im Herbst. Dann haben wir die Show "The Mentalist" ...

STANDARD: Hat der ORF Spin-Offs von ProSieben-Shows nötig?

Wrabetz: Der ORF hat Uri Geller in Shows bekannt gemacht, da hat's ProSieben noch nicht einmal gegeben. Aber es ist auch etwas anderes als die Uri-Geller-Show. Das ist ein interessanter österreichischer Typ. Eine der Ideen der Unterhaltungsabteilung, ich würde darum keine riesige Ideologie bauen. Es ist ein Fernsehprogramm, das hoffentlich Interesse weckt. Und: Wir haben von Vitasek, Palfrader, Dorfer über Düringer bis Lukas Resetarits alles an genuinem österreichischem Talent mit Eigenproduktionen im Programm, im Drehen oder in Entwicklung.

STANDARD: Wir hören von neuen Anläufen im Genre Dokusoap.

Wrabetz: Das Genre fehlt uns in ORF 1. Unsere Versuche da waren bisher nicht von Erfolg gekrönt. Eine Dokusoap zwischen gut gemachten privaten und solchen für ORF 2. Da laufen verschiedene Entwicklungen, Mittwoch wäre der Termin dafür. Da wir aber die Champions League wieder haben, ist da der Druck etwas heraußen. Ein Thema, an dem wir arbeiten, ist um Beispiel Schule und Schulprobleme.

STANDARD: Wie läuft die geplante ORF-Expansion in Bulgarien?

Wrabetz: In der ursprünglichen Form wird sie nicht realisiert. Ich halte es aber für richtig, dass sich die Firma ORS in limitiertem Umfang mit limitiertem Risiko international entwickelt, ohne Gebührengelder.

STANDARD: Wie lange ist die ORS noch mehrheitlich ORF-Tochter?

Wrabetz: Nichts ist in Stein gemeißelt. Es gibt derzeit aber keine Pläne, das zu ändern.

STANDARD: Stand ORF-Zentrum?

Wrabetz: Ende August wird die Ideensuche von potenziellen Nachnutzern abgeschlossen sein. Bis Jahresende soll dem Stiftungsrat eine entscheidungsreife Unterlage vorliegen.

STANDARD: Wie müsste ein ORF denn aussehen, wenn Sie ihn neu designen können?

Wrabetz: Die Kernkompetenzen klar definieren im Unternehmen, im Gebäudekern behalten. Und idealerweise rundherum einen Cluster ansiedeln, damit alles so zugeliefert werden kann, dass es auch für Dritte nutzbar ist.

STANDARD: Wenn Sie Halbzeitbilanz ziehen: Was ist Ihre größte Leistung?

Wrabetz: Dass allgemein anerkannt ist, dass die Journalisten, Programmmacher, Comedians des öffentlich-rechtlichen ORF ohne Schere im Kopf agieren können.

STANDARD: Wenn Sie von ihrer doch sehr fordernden ersten Halbzeit extrapolieren und sich heute entscheiden müssten: Würden Sie sich noch einmal bewerben um den Job?

Wrabetz: Ja, aber die Frage stellt sich derzeit nicht.

STANDARD:  Unverbesserlich?

Wrabetz: Unverbesserlich, ja.

STANDARD: Gilt das auch für die nächste Generaldirektorenwahl, die regulär 2011 ansteht?

Wrabetz: Diese Frage stellt sich erst im Sommer 2011. (Harald Fidler, DER STANDARD; Printausgabe, 22./23.8.2009/Langfassung)