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Von Libyen aus per Boot gestartet, in Lampedusa gestrandet: einer von vielen afrikanischen Flüchtlingen.

Foto: AP/Vivano

Nach der Schilderung eriträischer Migranten hat sich im südlichen Mittelmeer eine neuerliche Flüchtlingstragödie mit 73 Toten ereignet. Zwölf Seemeilen südlich von Lampedusa rettete die italienische Küstenwache aus einem treibenden Schlauchboot fünf völlig erschöpfte Menschen.

Die Flüchtlinge aus dem nordöstlichen Afrika waren nach eigenen Angaben am 28. Juli mit 73 weiteren Personen von der libyschen Küste in Richtung Sizilien gestartet, aber schon bald ohne Treibstoff geblieben. Da sie zu wenig Wasser und Lebensmittel mit sich geführt hätten, seien die meisten während der dreiwöchigen Odyssee gestorben, erzählten sie.

"Mindestens zehn Schiffe sind an uns vorbeigefahren, ohne Hilfe zu leisten", berichteten die Überlebenden - eine Frau, zwei Männer, und zwei Jugendliche -, die in Lampedusa medizinisch versorgt wurden. Ein Fischkutter habe nur angehalten, um einige Flaschen Wasser und etwas Brot zu reichen, und sei dann weitergefahren. Nach Aussagen der Eriträer hätten die Fischer Englisch gesprochen, was auf ein maltesisches Schiff deutet.

Malta informierte Rom am Donnerstag, dass Hubschrauberpiloten in libyschen Hoheitsgewässern sieben Leichen gesichtet hätten. Die Benachrichtigung wurde wegen mehrtägiger Verspätung in Rom mit erheblicher Irritation aufgenommen. Italien beschuldigt Malta mangelnder Kooperation in der Migrantenfrage.

Das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR kritisierte die unterlassene Hilfeleistung für die Schiffbrüchigen. "Dass Schiffe Flüchtlinge nicht retten, ist ein bedenkliches Zeichen. Offenbar werden sie nur noch als Strandgut betrachtet", erklärte UNHCR-Sprecherin Laura Boldrini. Die italienische Bischofskonferenz übte massive Kritik am "neuen Gesetz des Wegsehens". Die "resignierte Gleichgültigkeit" erinnere fatal an das Wegschauen bei der Deportation der Juden, kritisierte die katholische Zeitung Avvenire.

Die italienische Küstenwache meldete hingegen Zweifel an der Darstellung der Eriträer an. In dem zwölf Meter langen Boot seien keine Hinweise auf die Anwesenheit von fast 80 Personen gefunden worden.

Dass nach mehrwöchiger Pause in Lampedusa innerhalb weniger Stunden vier Flüchtlingsboote mit über 100 Migranten landeten, nährt in Rom den Verdacht, Libyen wolle an Italien Zusatzforderungen stellen. Die römische Regierung hat sich in einem Freundschaftsvertrag verpflichtet, in Libyen Projekte für dreieinhalb Milliarden Euro zu realisieren. Premier Silvio Berlusconi will die Probleme in Tripolis mit Staatschef Muammar al-Gaddafi erörtern. (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD Printausgabe, 22./23.08.2009)