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Foto: APA/Eggenberger

Gemeinhin neigte man bisher zu der Auffassung, Gefühle hätten nichts verloren, wo es um die Einhaltung von Gesetzen ginge. Die Justizministerin hat diese Auffassung vorige Woche bei ihrem Besuch in Kärnten relativiert. Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes seien umzusetzen, schockierte sie den dortigen Landeshauptmann, um - vielleicht selber erschrocken ob ihrer Intransigenz - mildernd hinzuzufügen: auch wenn man sich "in die spezielle Gedankenwelt Kärntens hineinfühlen muss".

Da eine Gegend kaum eine Gedankenwelt entwickelt, konnte nur die spezielle Gedankenwelt vieler ihrer Bewohner gemeint sein. Deren Landeshauptmann - vielleicht seinerseits entsetzt, ob dieses Eindringens in eine jedem Nichtkärntner a priori verschlossene Privatsphäre - trat die emotionale Aufwallung der Ministerin sofort aus wie einen Tschick neben dem slowenischen Pulverfass. Aber der Begriff "die spezielle Gedankenwelt Kärntens" ist nun einmal in die juristische Welt gesetzt, und welche Auswirkungen das Hineinfühlen in denselben auf die Ortstafelpolitik der Bundesregierung oder gar auf künftige Erkenntnisse österreichischer Höchstgerichte haben könnte, wird interessant sein zu beobachten. Die Ministerin hat sich dabei gewiss etwas gedacht und vermutlich ganz bewusst nicht etwa dazu aufgerufen, man müsse sich in die spezielle Gefühlswelt Kärntens hineindenken, weil eine solche Aufforderung die Grenzen des Anstandes, die bei einem Höflichkeitsbesuch nun einmal gezogen sind, weit überschritten hätte.

Die Rechtsfigur des sich Hineinfühlenmüssens in die spezielle Gedankenwelt von Gesetzesbrechern könnte nicht nur auf künftige Urteilsfindungen, sondern auch auf allgemeine Beurteilungen weit über Kärnten hinaus belebend wirken, vorausgesetzt, es trifft die richtigen Personen. Niemand wird hierzulande etwa von Polizisten verlangen, dass sie sich in die spezielle Gedankenwelt zweier unbewaffneter Jugendlicher hineinfühlen müssen, ehe sie einen davon in den Rücken schießen. Aber wenn ein Vorarlberger FPÖ-Landesrat den Direktor des Jüdischen Museums Hohenems öffentlich daran erinnert, "den Exiljuden aus Amerika in seinem hochsubventionierten Museum" gehe die österreichische Innenpolitik nichts an, dann wird das Hineinfühlen in die spezielle Gedankenwelt dieses alemannischen Meisterdenkers über alle juristischen Aspekte hinaus zu einer patriotischen Pflicht.

Einschlägige Publikationen helfen bei ihrer Erfüllung, denn ehe der Landesrat wahlkampfbedingt seine generellen Hetztiraden um diesen antisemitischen Ausfall bereicherte, hat er seine spezielle Gedankenwelt bereits in der "Neuen Freien Zeitung" vom 13. August dargelegt - zum Hineinfühlen für seinesgleichen. Dort forderte er: Entweder die Muslime akzeptieren die Gesetze und Wertvorstellungen unseres Staates oder sie müssen gehen. So einfach ist das.

Beim Versuch, sich in diese ebenso spezielle wie einfache Gedankenwelt hineinzufühlen, taucht rasch die Frage auf, ob die Einhaltung von Gesetzen und Wertvorstellungen unseres Staates vom religiösen Bekenntnis abhängen, also nur Muslimen auferlegt sein soll, oder beispielsweise auch Kärntnern, die weder geltende Gesetze noch Sprüche des Verfassungsgerichtshofes akzeptieren und damit nicht viel mehr wecken, als das zwanghafte Bedürfnis der Justizministerin, sich in ihre spezielle Gedankenwelt hineinzufühlen. Und, wenn es doch so einfach ist: Wohin sollen die gehen müssen? Die Türkei wird sie kaum mit offenen Armen empfangen. Slowenien?

Wirft die ministerielle Empathie in Sachen Kärntens Gedankenwelt ernste Fragen auf, so tut sich die journalistische in Sachen Strache schon mangels Gedanken leichter. Weil er sich in Ibiza eine Sonnenallergie geholt hat, kann sich Strache nicht mehr rasieren - bis zum ORF-Talk am Dienstag will er fit sein, versuchte sich Wolfgang Fellner am Sonntag in den FPÖ-Chef und seine spezielle Welt hineinzufühlen und entlockte ihm nicht zum ersten Mal das Geständnis: Natürlich war ich das eine oder andere Mal bis 5 in der Früh im Pascha, aber primär war das ein Familienurlaub mit meinen Kindern, die für mich das Wichtigste auf der Welt sind.

Neben den Österreichern. Ich rede nie über Ausländer - mein Thema sind die Österreicher. Denn: Es gibt ja praktisch keinen Österreicher mehr, der mittlerweile nicht Opfer eines Verbrechens geworden ist. Daher Strache: "Ich will ins Wiener Rathaus." "Österreich", tief hineinfühlend: Er hat zuviel Sonne erwischt. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 25.8.2009)