Car Shooting: Die Klause im Vorbeifahren (schon für die Taube lohnt sich der Halt)

Foto: Fidler

Käse-Meditation: Herr Grange fuhr schon mal den Käsewagen vor

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Aha: Basilikum-Sorbet mit Paradeisern

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Ein Lachs in den Bergen, und doch kein Alpenlachs

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Yeah: Tagliolini mit Ei und Käse

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Höhenflug, quasi: die Taube

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Expressionismus vor dem Espresso: Die Schokoterrine

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Passt doch hervorragend zur Regierungsklausur: die Klause, im Original La Clusaz im Aostatal (auf die Idee mit der Klause zur Klausur brachte mich Herr Pandi per Sonntags-"Krone", danke dafür). Und ein bisschen ähneln einander die Szenarien: Wir haben uns auf unserer Klausur im Aostatal auch ein bisschen entrisch gefühlt.

Nur ein Schneck

18 Einträge nur hält der Osteriaführer (2009/10) für den nordwestlichsten Gipfelzipfel Italiens bereit, wenn man von 8 Agriturismi absieht, aber zu denen ein ander Mal. Und unter den 18 plus 8 genau eine Schnecke, die dafür aber auch gleich mit Käse- und Weinlobsymbol, und dann noch mit Gästezimmern. Raten Sie, welches Wirtschaus der Fidler zum Ziel-1-Gebiet erklärte. Genau: Locanda La Clusaz in Gignod. Direkt an der breiten Bundesstraße vom Hauptort der Region, Aosta, auf den St. Bernhard, aber wenn man hinten raus schläft, kein gröberes Problem.

Wirklich gröber wurde hier kein Problem, warum also entrisch (Duden: nicht geheuer, ostarrichi.org: unheimlich)? Die Atmosphäre war, nun, ein bisschen eigenartig. Warum? Schwer zu beschreiben. Familie Grange gehört das Wirtshaus seit ein paar Generationen, der Chef, Maurizio (entnehme ich dem Osteriaführer) ist offenkundig um hohe Qualität von Küche, Service, Wein und vor allem Käse bemüht.

Entrisch

Wie sich Herr Grange tief über den Käsewagen senkt und dreht und biegt, um ausgesprochenen gemessenen Tempos mit Präzisionsschnitten Andeutungen hiervon und davon herunterzusäbeln, kann schon beeindrucken. Seine hohe Stimme überrascht ein wenig. Seine Frau wiederum zeigt, dass man jeder Mode eine gewisse Zeitlosigkeit abgewinnen kann. Das Personal wirkt ein bisschen übertrieben roboterhaft, ein bisschen unpersönlich. Und all das in einem sehr ambitioniert hergerichteten (modernisiert geht mir hier partout nicht von den Fingern) Gewölbe, das an sich durchaus stimmungsvoll sein könnte, wenn die Stimmung nicht so drückte.

Aber egal, wir sind ja nicht hier, um Freundschaft mit Wirtsfamilie oder ihren Helfern zu schließen. Wohlfühlen wär schon fein, aber das Zimmer ist eh ganz okay, hinter dem Haus kann man im Wald ganz nett joggen, und außerdem geht's ja vor allem um Essen und Trinken. A propos!

Weißwein, nicht artgerecht

Der Herr der Klause verdient sich unser Weinlob mit dem Brut Fripon vom Blanc de Morget zum Einstieg. Den empfohlenen Pinot Gris Le Triolet von Marco Martin verdanke ich, der ich Leichtes wollte, meiner lieben Freundin, die kraftvollere Weißweine bevorzugt. Ich bin ja flexibel, wenngleich darunter die Wahrnehmung etwas früher leidet. Aber: So schnell konnten wir gar nicht trinken, dass der ohnehin schon etwas lau angelieferte Burgunder ohne jede Kühlung auf unserem Tisch lauer und lauer wurde, wenn wir nicht nach dem Eiskübel verlangt hätten. Wir wollten ihm subito das Weinsymbol aberkennen.

Das passierte uns schon mehrfach in Italien - vielleicht kann mir eine/r der kundigen Schmecks-User/innen erklären, warum in einem nicht gerade nordischen Land der Weißwein gerne ohne Kühler auf den Tisch kommt? Oder passiert das nur mir, weil ich womöglich so aussehe, als würde ich die Flasche ohnehin auf 2,3 kippen? Der Eindruck täuscht, bitteschön!

Lachs und Koriander

Die Küche grüßt mit einem Zucchini-Flan mit Senfsauce, absolut okay. Basilikumsorbet mit Paradeiser für die Vegetarierin an meiner Seite, geht. Schon gehaltvoller der Käse-Flan mit Sauce Richtung Gorgonzola, beschwören würde ich die Sorte jetzt nicht mehr, ein weiterer Eintrag eigentlich für Cheeeese! im Aostatal, fällt mir gerade auf. Ebenso der wirklich sehr anständig bestückte Käsewagen, aber bis dahin brauchen wir noch ein bisschen.

Mir zum Beispiel vertreibt das Clusaz die Zeit, bis Herr Grange den Wagen vorfährt, mit Räucherlachs (muss ich hier in den Bergen nicht unbedingt haben, aber schon okay) mit Orange und Frischkäse. Mit einer "Insalata Russa Rivistata", ohne die Mayo des Vorbilds, vor allem Gemüse, mit ziemlich dominanter Koriandernote. Dann lieber Da Gemma, knallhart original.

Aber die Taube!

Hier wird jetzt langsam die Mitschrift ein bisschen wackeliger (siehe kräftiger Weißwein oben) und etwas unpräzise: Gratin steht da, mit einem wenig überzeugten Fragezeichen. Hm, egal: Die Taglioline mit pochiertem Ei und - vage notiert - Käse tragen in den Schmeck's-Aufzeichnungen ein fettes Rufzeichen: Soll heißen: haben gefallen.

Jetzt aber brauch ich die Notizen auch nicht mehr, der Hauptgang blieb mir (im Wesentlichen) im Gedächtnis: Taube, Piccione, auf drei Arten. Sehr, sehr gut, drei Rufzeichen von drei möglichen. Vom Raviolo mit Bratensaft hätte ich mir ein bisschen mehr erwartet, dafür waren die rosa gebratene Brust eine saftige Freude und die geschmorten Haxen auf Spinat überhaupt der Höhepunkt. Das dritte Stück, auf einem eher faden Erdäpfelquader platziert, kann ich jetzt anatomisch nicht mehr ganz zuordnen, die Mitschrift vermag das auch nicht mehr zu erhellen, und auf meinem Schmeck's-Beweisbild zerrint das Trumm in der Tiefenunschärfe. Soviel kann ich noch sagen: Auch dieser Teil sehr erfreulich. Essen Sie also Taube in der Klause.

Nach diesem Menü plus Käse hielt ich erfrischende Sorbetti noch für das erträglichste Dessert, Mango, Limone und Melone waren mir halt immer noch zu süß und viel. Meine Freundin indes, die jedenfalls laut Aufzeichnungen auf eine Hauptspeise verzichtet hatte (hätte ich mir bei der Taube nie verziehen!), wirkte ausgesprochen zufrieden mit der Schoko-Terrine zum Abschluss.

Wofür erhalten Wirtshäuser nun eine Schnecke? "Ein Lokal, das uns in spezieller Weise gefällt, wegen der Atmosphäre, der Küche und der Gastlichkeit, die der Slow-Food-Philosophie entsprechen." Nun ja, speziell war's, vor allem die Atmosphäre, für Slow Food war mir ein Gutteil der Küche etwas zu aufgebrezelt, und Gastlichkeit, naja. Aber ehrlich: Ich hatte wirklich schon schlimmere Abende in meinem Leben. Gar nicht wenige, auch bei Wirten. Und sagen Sie jetzt nicht, Sie wissen schon, warum meine Freundin in meiner Gegenwart zu kräftigeren Weißweinen tendiert.