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Virologen sprechen von einer Superinfektion, wenn sich auf eine bestehende Infektionskrankheit eine zweite Infektion mit demselben Erreger aufpropft.

Foto: AP/Jörg Sarbach

Ist das Immunsystem kompetent, dann ist Lippenherpes harmlos. Diese Tatsache gibt Anlass zur Freude. Allerdings währt sie nur kurz, wenn man zu dem Teil der Bevölkerung zählt, deren Lippen in regelmäßigen Abständen von Fieberbläschen geziert werden. Abgesehen davon, dass diese Virusinfektion weh tut und ein ästhetisches Problem darstellt, drängen sich für Infizierte in der Regel zumindest zwei Fragen auf: Wie ansteckend ist das Herpes simplex Virus Typ I und gibt es irgendeine therapeutische Option, die dem Lippenherpes schon beim ersten Kribbeln verlässlich den Wind aus den Segeln nimmt?

Zur ersten Frage: Ja, Herpesviren sind hoch ansteckend, jedoch nur für Menschen, die nicht ohnehin schon längst seropositiv sind. Im Klartext heißt das: Wer sich einmal mit dem verantwortlichen Erreger angesteckt hat, der trägt ihn lebenslänglich mit sich herum. "Die Erstinfektion mit HSV 1 wirkt wie eine Lebendschutzimpfung", weiß der deutsche Biochemiker Gerald Kleymann. "Denn", so der Herpes-Experte, "sind die Herpesviren einmal im menschlichen Organismus drin, dann wandern sie in das Nervengewebe und deponieren dort ihre DNA". Für 80-90 Prozent der Bevölkerung gilt daher: Gegen weitere Infektionen mit HSV 1 sind die einmal Infizierten relativ resistent. Den Schutz verdanken sie Antikörpern, die das Immunsystem gegen die Viren beim Erstkontakt bildet.

Küssen mit Einschränkung

Wer sich also nicht davon abhalten lassen möchte herpesinfizierte Lippen zu küssen, der darf das - vorausgesetzt er ist bereits Träger des Virus - auch eingeschränkt tun. "Mit viel Pech kann es zu einer Superinfektion kommen", weiß Kleymann von einer Infektion, die auf die bereits bestehende Infektion mit ein- und demselben Erreger folgt, zu berichten. Ein Restrisiko das also bleibt und Mediziner zu folgender Konklusio gebracht hat: Das Küssen einer infizierten Lippe ist generell ein Tabu.

Diejenigen, die schon beim geringsten Stress die nächste Blase auf ihrer Lippe erwarten, werden diesem Rat bedenkenlos folgen. Die Angst vor den hässlichen Herpesbläschen ist einfach zu groß. Frustrierend ist nur: Allzu viel nützen wird das auferlegte Küssverbot nicht, denn Auslöser für die Reaktivierung der Viren gibt es viele (Stress, intensive Sonneneinstrahlung, Fieber) und sie alle zu meiden funktioniert sowieso nicht.

Herpesmittel gibt es viele

Darum heißt es derzeit das unvermeidliche akzeptieren und hoffen, dass irgendein Arzneimittel hilft. Angebote gibt es derer genug. An vorderster Front stehen Nucleoside wie Aciclovir, das auch bei lokaler Anwendung die Entstehung der Blase vielleicht noch im Ansatz verhindert. Das Problem bei dieser antiviralen Substanz: HSV 1 Viren können dagegen Resistenzen entwickeln. Die Salbe bleibt dann ohne Wirkung.

Gut, es gibt Alternativen, wie Zink-Heparin, das zumindest eine gewisse Linderung bringt beziehungsweise eine schnellere Abtrocknung und Abheilung verspricht. Der Wunsch den lästigen Viren jedoch die Möglichkeit für einen Wiederauftritt endgültig zu nehmen bleibt noch unerfüllt.

Endgültiges Aus für Herpesviren

Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels. "Im Tiermodell hat sich gezeigt, dass es nach Verabreichung von Helicase-Primase-Inhibitoren zu keinerlei Rekurrenzen mehr kommt", so Kleymann. Um zu verstehen was Helicase-Primase-Inhibitoren tun, muss man verstehen, wie das Virus im Körper agiert. Wie gesagt, einmal im Organismus, legt das Virus Kopien seines Erbmaterials im Trigeminusnerv ab. Den Nerv tangiert das nicht weiter, jedoch verliert die virale DNA zunehmend an Qualität. Für das Virus heißt es deshalb irgendwann: Zurück zur Lippe, denn nur dort ist es in der Lage sich erneut zu vermehren um die neuen Genome anschließend wieder im Nervengewebe zu deponieren. "Mit der neuen Wirkstoffklasse gelingt es diesen Zyklus zu durchbrechen, was bedeutet, dass die aktive DNA im Nervengewebe immer weniger wird und der betroffene Mensch irgendwann bleibend symptomlos ist", so Kleymann abschließend. Gemeinsam mit allen Betroffenen hofft er nun auf ein endgültiges Ende der Lippenherpes-Ära. (Regina Philipp, derStandard.at, 10.09.2009)