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Zehn Jahre "Women on Waves" heißt zehn Jahre Einsatz für die reproduktive Selbstbestimmung der Frau, der Leben rettet.

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Rebecca Gomperts ist die Gründerin der Organisation, die neben der schwimmenden Klinik auch eine Plattform für ungewollt Schwangere in (Binnen)Ländern mit Abtreibungsverboten ins Leben gerufen hat.

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Abtreibung gehört zu jenen in scheinbarer Endlosschleife diskutierten gesellschaftspolitischen Themen, auch in Ländern der westlichen Industrienationen, in welchen die Fristenlösung zum Teil seit Jahrzehnten beschlossenes Recht ist. Vor dem Hintergrund einer zum Kulturkampf stilisierten Polit-Debatte, die mit "gesundem Volksempfinden" arbeitet und in der Forderung nach mehr "inländischem Nachwuchs" mündet, und dem religiös motivierten Lebensschutz für Ungeborene, dem sich katholische AbtreibungsgegnerInnen verschrieben haben, zeigt sich eine neue Brisanz in der Abtreibungsfrage.

Was die Forderung nach "flankierenden Maßnahmen", wie von Kardinal Schönborn letzte Woche erneut gefordert, steckt, sprechen andere schon deutlicher aus, hierzulande wie auch in vielen anderen Ländern: Schwangerschaftsabbrüche gehören untersagt oder es den Frauen zumindest schwer gemacht, sich für die Option Abbruch zu entscheiden. Ein Blick in Länder, wo Abtreibung nach wie vor illegal ist, zeigt: Das Verbot bringt vor allem erhebliche Gesundheitsrisken für Frauen mit sich. Sie haben eine 150 Mal höhere Gefahr, bei einem Abbruch zu sterben. Nichtsdestotrotz entscheiden sich Hunderttausende für den Eingriff. Diejenigen, die es sich leisten können, reisen ins nächste Ausland, in dem Abtreibung legal ist. Die anderen Frauen landen bei großteils ungeschulten PrivatdoktorInnen. Oder sie nehmen den Eingriff gar selbst vor. Vierzig Prozent dieser illegalen Abtreibungen ziehen laut WHO-Schätzungen schwere medizinische Komplikationen nach sich, rund 90.000 Frauen sterben jährlich in Folge. Dass so viele eher ihr Leben aufs Spiel setzen als ein Kind auf die Welt zu bringen, zeigt die Dimension hinter dem von GegnerInnen oft als "einfacher Ausweg" und "Verantwortungslosigkeit" gebranntmarkten Schritt, der von den Betroffenen schlicht als existenzsichernd und lebensnotwendig empfunden wird.

Um Frauen zu helfen, die keine Option auf einen sicheren Schwangerschaftsabbruch unter medizinisch einwandfreien Umständen haben, hat sich 1999 eine Organisation konstituiert, die seitdem international für das Recht auf Abtreibung und die Anerkennung der weiblichen Selbstbestimmung aktiv ist: Die "Women on Waves", die "Frauen auf Wellen", die sich rund um die Gründerin Rebecca Gomperts formiert haben. Die niederländische Medizinerin und ehemalige Greenpeace-Teamärztin ist im Rahmen der Tätigkeit für die Umweltschutzorganisation auf die Idee gekommen, das Internationale Seerecht, dem zufolge die Gesetzgebung des Herkunftslandes des jeweiligen Schiffes gilt, für ihr feministisch-humanitäres Anliegen auszunutzen. So wurde aus einem niederländischen Schiff in Folge eine schwimmende Frauen-Klinik, mit der die "Women auf Waves" dank privaten SponsorInnen in den letzten zehn Jahren die internationalen Gewässer vor zahlreichen Ländern, in denen Frauen nicht legal abtreiben dürfen, angeschifft haben: 2001 ankerten sie vor Irland an, 2003 vor Polen, 2004 vor Portugal, 2008 erst vor Ecuador, dann vor Spanien und heuer vor der Küste Chiles.

Auf dem Schiff werden keine chirurgische Eingriffe vorgenommen; die Frauen erhalten neben eingehender Aufklärung über reproduktive Gesundheit und Verhütungsmethoden die als Abtreibungspille Mifegyne bekannte Medikation RU 486, die bereits 1980 in Frankreich entwickelt worden ist und seitdem in 34 Ländern weltweit zur Anwendung kommt - allein in Europa wurde sie bereits mehr als 1,5 Millionen Frauen verabreicht. Die Organisation hat von den holländischen Behörden die Erlaubnis, Frauen das Medikament an Bord auszuhändigen, sofern die Schwangerschaftsdauer sechseinhalb Wochen unterschreitet, was die Behörden und Pro-Life-Organisationen in den angesteuerten Ländern auf die Barrikaden brachte. So trafen die Aktivistinnen in Polen auf skandierte Hasstiraden von Rechten. In Spanien wurden die "Women on Waves" von einer "ProVida"-Delegation entsprechend ablehnend empfangen. In Portugal sah man das Unterfangen gar als "Gefährung der nationalen Sicherheit" an und zwang die "Women on Waves" mittels Kriegsschiff zum Beidrehen - trotz des Wissens um die rund 5.000 Frauen, die in Portugal jährlich an den Folgen illegaler Abtreibungen gestorben sind. Gegen diese Aktion hat "Women on Waves" eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht - und Anfang 2009 letztendlich Recht bekommen.

Um Frauen auch in Ländern zu erreichen, die weder Zugang zu sicherer Abtreibung noch zum Ozean haben, hat Gomperts 2007 mit anderen Pro-Choice-AktivistInnen eine Plattform ins Leben gerufen, die ungewollt Schwangeren als Anlaufstelle für Ausstausch wie auch als Verteiler-Seite für RU 486 dient. Ganz im Sinne der WHO-Definition von Gesundheit - "Ist das vollständige physische, geistige und soziale Wohlbefinden einer Frau durch eine Schwangerschaft gefährdet bzw. nicht mehr gegeben, hat sie ein Recht auf einen Abbruch, der ihr Leben nicht gefährdet." - wird Frauen (nur in Ländern mit Verbotsregelungen) über die Webseite "Women on Web" nach virtueller medizinischer Beratung und Aufklärung sowie virtuellem Check Post zugestellt, die RU486 enthält.

In einem dieStandard.at-Interview 2005 betonte Gomperts ihre Überzeugung, dass die Verweigerung des Zugangs zu sicherer Abtreibung eine Verletzung der Menschenrechte darstellt: "Wir sehen unsere Aufgabe auch weniger in der Durchführung von Abtreibungen, weil das ja das Problem im jeweiligen Land nicht dauerhaft lösen würde. Der einzige Weg, den Frauen zu helfen, ist, die Gesetze zu verändern. Deshalb ist es notwendig, eine Diskussion in Gang zu bringen (...)."

Und das ist mittlerweile in Portugal passiert: 2007 wurde das Abtreibungsgesetz gelockert, in Spanien ist eine umstrittene Liberalisierung in Gange. Stillstand herrscht in Irland und in Malta; in Polen sind Bemühungen, das ohnehin äußerst restriktive Gesetz in ein gänzliches Verbot umzuwandeln, gescheitert. In Ländern wie Ägypten, Bangladesch, Dominikanische Republik, Elfenbeinküste, Haiti, Madagaskar, Sri Lanka - um nur einige zu nennen - steckt die erwünschte Diskussion noch nicht einmal in den Kinderschuhen. Wo Frauenrechte kein Thema sind, ist Abtreibung ebenfalls Tabu. Die "Women on Waves" haben eingedenk dieser Tatsache gute Aussichten, noch etliche runde Jubiläen zu begehen. Leider. (bto/dieStandard.at, 3.9.2009)