
"Alles ist live, man kann nicht zurückspulen. Das ist der Kick": Marolt erklärt Heinisch-Hosek den Reiz des Modelns – vergeblich.
Standard: Frau Ministerin, gehören Sie zu den tausenden Fans, die mit Larissa Marolt in diversen Model-Castingshows mitgefiebert haben?
Heinisch-Hosek: Nein, aber ich hab einmal in die Sendung Germany's Next Topmodel reingezappt – und mich dann entschieden, das nicht wieder zu tun. Was ich gesehen habe, war mit vielen Tränen verbunden. Eine der jungen Frauen wurde da genötigt, sich die Haare abschneiden zu lassen, was sie ziemlich fertiggemacht hat. Das war ja wie im Erziehungslager.
Marolt: Tränen sind wirklich viele geflossen. Wenn andere Mädchen geweint haben, hat mich das fast mehr belastet als der ganze Wettkampf. Ich war da eher die Ausnahme. Niederlagen nehme ich nicht so schwer – schließt sich eine Tür, öffnet sich eine neue. Und ich kann auch mit Kritik gut umgehen. Was mir davon hilft, das nehme ich an.
Standard: Was sich in der Show abspielte, ging aber über Kritik weit hinaus. Die Jury sagte den Kandidatinnen Sätze ins Gesicht, wie: "Du hast keine Persönlichkeit!"
Heinisch-Hosek: Das ist eine Form der Gehirnwäsche, die an Psychoterror grenzt – nach dem Motto: Wenn du nicht parierst, fliegst du. Ich hätt das in meiner Jugend nicht mit mir machen lassen. Obwohl ich damals sicher nicht so selbstbewusst war wie Sie, Frau Marolt.
Marolt: Niemand hat uns gezwungen, da mitzumachen. Jedes Mädchen, das sich für Castingshows hergibt, weiß, worauf es sich einlässt. Ich war mir jedenfalls bewusst, was auf mich zukommt. Und ich habe dabei viel für meine Karriere gelernt: wie man sich am Laufsteg bewegt, Fotoshootings bewältigt, seine Schokoladenseite präsentiert.
Standard: "Der Spiegel" hat die Botschaft dieser Show so auf den Punkt gebracht: Mädels, seid artig, unterwürfig, hübsch, dann werdet ihr reich und berühmt.
Heinisch-Hosek: Das ist genau das Rollenbild, das Frauen zugeschrieben wird – und das wir Feministinnen bekämpfen. Leider suggerieren die Schönheitsindustrie und der Schlankheitswahn, dass Äußerlichkeiten das Um und Auf sind. Ich kämpfe dafür, dass Mädchen selbstbewusst genug auftreten, um sich nicht für eine Show herrichten zu lassen, wie es dem Publikum oder der Jury gefällt.
Marolt: Also ich hab nicht alles, was verlangt wurde, mit mir machen lassen. Ich habe auch meinen eigenen Willen durchgesetzt, mich nicht verstellt – und es trotzdem unter die Top Ten geschafft.
Standard: Haare mussten aber auch Sie lassen.
Marolt: Aber nur fünf Zentimeter. Das war der Kompromiss, nachdem ich rebelliert hatte. Das Recht, darüber mitzubestimmen, was mit meinem Körper passiert, lass ich mir nicht nehmen. Models müssen Prinzipien haben, dann können sie sich auch ihre Würde bewahren.
Standard: Auch wenn wie in der Show verlangt wird, wie im Striptease-Klub an der Stange zu tanzen?
Heinisch-Hosek: Ich frage mich, was das mit Modeln zu tun hat. Das klingt nach Go-go-Tänzerinnen.
Marolt: Wir haben uns zehnmal überlegt, ob wir das tun sollen. Ein ungutes Gefühl war schon dabei. Aber nachdem wir geklärt hatten, dass es sich um eine professionelle und ästhetische Angelegenheit handelt, haben wir eingewilligt. Das ist genau die Grenze: Die Fotos, die ich gemacht habe, waren immer ästhetisch und nie ordinär oder pornografisch.
Heinisch-Hosek: Ich bezweifle nur, dass man sich in diesem Business leisten kann, Nein zu sagen.
Marolt: Im Zweifelsfall habe ich das vor. Mir ist klar, dass meine Karriere schnell wieder vorbei sein kann. Deshalb mache ich nächstes Jahr auf jeden Fall meine Matura und will dann an eine Filmschule.
Heinisch-Hosek: Aber kann es nicht sein, dass frau da immer mehr hineinschlittert? Wenn ein Erfolg nach dem anderen kommt, macht man vielleicht, was in der Branche gewünscht ist. Es ist doch so: Die Kosmetik-, Bekleidungs- und Schönheitsindustrie schafft an, wir reagieren. Dass der Markt bestimmt, wie Frauen auszusehen haben, ist eine Katastrophe. Ich lerne viele Mädchen kennen, die einfach nicht mehr essen wollen. Wenn sie behaupten, sie wollen sich dabei nur selbst gefallen, lügen sie sich in die eigene Tasche.
Marolt: Ich finde es auch schrecklich, wenn sich Mädels so runterhungern. Klar, eine schlanke Figur ist Voraussetzung. Aber das heißt nicht, dass man dürr sein muss. Und ich habe auch den Eindruck, dass das im Model-Business heute nicht mehr so streng ist.
Standard: Moderatorin Heidi Klum hat schon einmal in der Tiefkühltruhe ihrer Models herumgestöbert, um Kalorienbomben zu finden.
Marolt: Uns wurde nichts verboten, es gab keinen strengen Ernährungsplan. Ich hungere definitiv nicht für den Job. Wenn nur noch Models mit Kleidergröße Zero genommen werden, höre ich auf.
Heinisch-Hosek: Aber das ist doch längst so! Ich sehe nirgendwo Models, die wieder mehr Fleisch an den Knochen haben. Solange die Nachfrage da ist, gibt es dieses Phänomen. Und die Mädchen machen mit bis zur Selbstaufgabe.
Marolt: Ich bin ein gutes Gegenbeispiel. Ich leide nicht unter diesem Magerwahn, bin nicht zu dünn, sehe gesund aus – und eben hab ich zum Frühstück einen Apfelstrudel gegessen. Trotzdem kann ich über fehlende Aufträge nicht klagen. Kurven find ich weiblich – und gegen das Runterhungern könnte doch die Politik etwas tun.
Standard: In Argentinien gibt es etwa ein Gesetz, das Geschäfte zwingen soll, auch Kleidergrößen bis XL zu führen.
Heinisch-Hosek: Ich bezweifle nur, ob Gesetze viel bringen, solange die Gesellschaft nicht bereit ist, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Eines will ich aber durchsetzen: ein Mindestalter für Schönheitsoperationen, von denen es in Österreich im Jahr schon an die 80.000 gibt. Ich sehe nicht ein, dass sich Mädchen im jüngsten Alter die Nase, die Brust oder sogar die Schamlippen korrigieren lassen. Ich kann Ihnen nur raten: Lassen Sie sich nicht umformen!
Marolt: Tue ich auch nicht. Ich halte gar nichts von Schönheits-OPs und würde auch keine machen. Ecken und Kanten, kleine Schönheitsfehler machen einen Menschen interessant. Ein perfektes Gesicht wird schnell langweilig – wer will das schon?
Heinisch-Hosek: Der Markt! Gerade die Ecken und Kanten werden auf Fotos, soweit ich weiß, doch gerne via Computer wegretuschiert. Feminismus und das Modelbild von heute schließen einfach einander aus. Wenn wir Frauen so über den Laufsteg gehen, wie wir sind, werden wir nicht nachgefragt.
Standard: Macht der Job Spaß, oder kassiert man halt Schmerzensgeld?
Marolt: Mir macht das schon Spaß. Ich sehe die Welt, lerne Leute kennen. Außerdem ist es ein tolles Gefühl, über den Laufsteg zu gehen, ich stehe gerne auf Bühnen. Alles ist live, man kann nicht zurückspulen. Das ist der Kick.
Heinisch-Hosek: Bei meinem Job besteht der Reiz darin, dass ich meine Überzeugung nach außen tragen und – wenn's gutgeht – andere dafür gewinnen kann. So ab 16, 17 habe ich erkannt, dass Nein zu sagen für Frauen auch Charme hat: Aus der Rolle fallen, sich nichts sagen lassen. Heute bin ich eine glühende Feministin. Und zu verändern gibt es noch mehr als genug.
Standard: Fragen wir eine Wählerin: Was soll die Politik für junge Frauen wie Sie tun, Frau Marolt?
Marolt: Viele meiner Freunde haben Angst vor der Zukunft – ob sie einen Job oder überhaupt einen Studienplatz finden. Mir ist auch wichtig, dass es neben meinem Job einmal möglich sein wird, ein Kind zu haben. Ich möchte als Model weiterarbeiten, aber trotzdem Kinder kriegen, mindestens zwei.
Standard: Was auch alle Politiker – Stichwort sinkende Geburtenrate – von Ihnen erwarten.
Marolt: Dann muss es aber auch genügend Kindergartenplätze geben. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das nicht immer so ist: Unsere Familie hat sehr lange suchen müssen, um für meinen Bruder einen Platz zu finden. Ich glaube, dass viele Frauen dann wieder mehr Kinder bekommen würden, wenn sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen können.
Heinisch-Hosek: Diesen Fragen müssen sich aber auch die Männer stellen. Ich kenne viele Väter, die selbstverständlich im Top-Management sitzen. Aber ich kenne kaum Top-Managerinnen, die Kinder haben.
Marolt: Ich werd da meinen zukünftigen Mann schon einteilen.
Standard: Haben wir Männer uns denn überhaupt nicht gebessert?
Heinisch-Hosek: Ich stelle schon fest, dass sich die traditionellen Rollenbilder gerade bei jungen Männern wieder verfestigen – da läuten bei mir alle Alarmglocken. Sehr viele Burschen weigern sich zum Beispiel, Kondome zu verwenden. Sie klären sich zwar über Pornografie auf, doch wovon man schwanger wird, damit beschäftigen sie sich nicht.
Marolt: Ich finde es wichtig, dass Schüler aufgeklärt werden, gerade wegen der vielen Geschlechtskrankheiten. Bei uns an der Schule wurde das schon getan, aber erst ab der vierten Klasse, was mir sehr spät vorkommt. Das sollte es früher geben.
Heinisch-Hosek: Das sollte es immer geben! Auch für die Kleinsten. Wenn ein dreijähriges Kind ein Geschwisterchen bekommt und fragt "Mama, wo kommt das Baby her?", braucht es eine kinderadäquate Antwort.
Standard: Gibt's an Ihrer Schule viele Möchtegern-Machos?
Marolt: Nein – weil es eine Mädchenschule ist. Natürlich gibt es solche Burschen, aber die interessieren mich gleich gar nicht. Ich glaub auch, dass das ein bisschen am Alter liegt.
Heinisch-Hosek: Schön wär's. Ich kenn mehr erwachsene Machos, als Sie glauben. (Das Gespräch moderierte Gerald John/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.9.2009)