Viel mehr als ein knappes schriftliche Fazit kennt die Öffentlichkeit noch nicht. "Die Lage ist ernst" , schreibt Stanley McChrystal, der General, der die US-Truppen in Afghanistan kommandiert, in einem mit Spannung erwarteten Bericht. Barack Obama hatte den Report übers Wochenende mit nach Camp David genommen, um in der Abgeschiedenheit seines Landsitzes nachzudenken, welche politischen Schlüsse er aus der Analyse ziehen soll.
Noch sind nur bruchstückhafte Details durchgesickert, doch in welche Richtung McChrystal marschieren möchte, glaubt man in Washington bereits zu wissen. Demnach rät er dem Präsidenten, das Kontingent am Hindukusch nochmals deutlich aufzustocken. Von bis zu 40.000 zusätzlichen Soldaten ist die Rede, was bedeuten würde, dass die Truppenstärke der USA auf rund 100.000 Mann anschwillt und sich allmählich den Dimensionen des Irak-Einsatzes nähert.
Voller Sorge verzeichnen die Militärs, dass die Taliban auch in Regionen an Einfluss gewinnen, die lange als relativ sicher galten, etwa um Kundus im Norden. Auf den Prüfstand stellen sie die Strategie, auf tatsächliche oder angenommene Gefahren mit Luftschlägen zu reagieren.
Noch im September will Obama entscheiden, ob und wie weit er umsetzen wird, was ihm seine Generäle empfehlen. Sein Spielraum ist begrenzt, daheim kippt die Stimmung. Nach einer Umfrage von Washington Post und ABC glaubt eine Mehrheit der Amerikaner nicht mehr, dass es sich lohnt, in Kabul, Kandahar oder Kundus Flagge zu zeigen. Nur 24 Prozent unterstützen eine Truppenverstärkung, während 45 Prozent eine Reduzierung verlangen. Die flaggengeschmückten Särge, mit denen Militärmaschinen immer öfter auf der Rollbahn des Stützpunkts Dover in Delaware landen, lassen Ernüchterung einziehen. 739 GIs kamen bis heute ums Leben, allein 51 im August, dem opferreichsten Monat für die westliche Koalition.
Nun melden sich auch in der Partei des Präsidenten Stimmen zu Wort, die zum Rückzug blasen. Russell Feingold, demokratischer Senator aus Wisconsin, will wissen, "wann das alles ein Ende hat" . Der Terrorismusexperte Bruce Riedel, Chef eines Gremiums ziviler Experten, das McChrystal berät, zieht Vergleiche mit dem Vietnamkrieg. Das Kabinett Hamid Karsais hält er für ebenso korrupt und unfähig, wie es seinerzeit die Südvietnamesen waren.
<"Wahlbetrug im großen Stil"
Dazu kommen neue Berichte über Betrug bei der Präsidentenwahl am 20. August. Laut New York Times existierten mindestens 800 Wahllokale, in denen offiziell Stimmen für Karsai abgegeben wurden, nur auf dem Papier. "Es gab Wahlbetrug im großen Stil" , sagte Dimitra Ioannou, stellvertretende Leiterin der EU-Wahlbeobachtermission in Afghanistan, dem Tagesspiegel. In das Resultat wurden über 400 Wahllokale mit verdächtigen Zahlen einbezogen. Ioannou fordert Wahlannullierung. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 8.9.2009)