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Die Beute und ihr Jäger: Die Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus) und die Kohlmeise (Parus major)
Pöcking - Kohlmeisen sind, was Futter anbelangt, recht flexibel - nicht zuletzt deshalb müssen sie im Winter auch nicht nach Süden auswandern. Während in der warmen Jahreszeit hauptsächlich Insekten und Spinnen auf ihrem Speisezettel stehen, ernähren sie sich im Winter vorwiegend von pflanzlicher Kosten wie Samen und Nüssen. Und damit ist der Erfindungsreichtum von Meisen noch bei weitem nicht ausgeschöpft: In den 40er Jahren beispielsweise wurde auf den Britischen Inseln beobachtet, wie Blaumeisen lernten, vom Milchmann vor den Häusern abgestellte Milchflaschen zu öffnen, um an die Sahne zu kommen, die sich innen am Deckel gebildet hatte.
Eine bemerkenswerte neu erlernte Verhaltensweise haben nun Forscher vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen zusammen mit Kollegen in einer Höhle in Ungarn beobachtet und darüber in den "Biology Letters" der britischen Royal Society berichtet: Sie beobachteten Kohlmeisen, die in eine Höhle, in der Zwergfledermäuse (Pipistrellus pipistrellus) ihren Winterschlaf hielten, eindrangen und die kleinen Fledertiere fraßen. Bei bis zu 25 Zentimetern Flügelspannweite klingt dies kaum glaublich - doch zum Schalf eingerollt sind die nur wenige Gramm schweren Fledermäuse nicht größer als eine Streichholzschachtel.
Abwehrlaute werden zum Verhängnis
Die untersuchte Höhle hat einen großen Eingang, so dass etwas Licht in die Höhle fällt und sich die Meisen im Halbdunkeln noch orientieren können. In der Höhle finden die Vögel die Fledermäuse möglicher Weise durch Laute, welche die im Winterschlaf gestörten Tiere beim Aufwachen ausstoßen. Die Laute reichen vom menschlichen Hörbereich bis hinein in den Ultraschall. Dass sie auch im hörbaren Bereich der Vögel liegen, zeigten die Forscher, in dem sie den Meisen die Fledermauslaute vorspielten und diese sich interessiert dem Lautsprecher annäherten.
"Es sind vermutlich Laute, die der Abwehr dienen sollen", so Björn Siemers, "aber es erscheint möglich, dass sie von den Meisen zum Orten der Fledermäuse genutzt werden." Die Meisen benötigten höchstens eine Viertelstunde vom Eindringen in die Höhle bis zum Erbeuten einer Fledermaus. Teilweise trugen sie die Fledertiere in ihrem Schnabel aus der Höhle heraus und fraßen sie auf Bäumen in der Nähe der Höhle.
Möglicherweise kulturelle Weitergabe
Die Forscher erklären dieses Verhalten mit einer extremen Notsituation bei der Nahrungssuche: Im Nordosten Ungarns können manchmal harte Winter mit einer geschlossenen Schneedecke herrschen. Boten die Wissenschafter den Meisen Sonnenblumenkerne oder Speck an, zogen die Vögel diese Nahrung vor und ließen die Fledermäuse weitgehend in Ruhe: Nur eine Meise ging noch auf Raubzug.
"Verhaltensflexibilität, gepaart mit veränderten Gegebenheiten der Umwelt, z.B. Nahrungsengpässen, kann erstaunliche Neuerungen im Tierverhalten hervorbringen", schlussfolgert Siemers. Dieses innovative Verhalten ist kein Einzelfall und wird wahrscheinlich von Generation zu Generation weitergegeben. Denn Péter Estók, Erstautor der Studie, beobachtete bereits zehn Jahren zuvor eine Fledermaus fressende Kohlmeise in dieser Höhle. Auch aus Polen wurde solch eine Beobachtung berichtet. "Dies könnte entweder für eine kulturelle Weitergabe zwischen verschiedenen Populationen sprechen, oder für eine unabhängige Entwicklung an verschiedenen Orten aufgrund gleicher ökologischer Gegebenheiten", fasst Björn Siemers zusammen. (red)