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Da die Zeit nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge aber nicht reversibel ist, behelfen wir uns mit Ersatzhandlungen aller Art. Reisen an angeblich unberührte "Ursprünge" spielen dabei eine große Rolle, zu Shangri-La-Tälern, Traumbuchten, märchenhaften Höhlen oder (eben) paradiesischen Inseln. Nun werden solche Ziele jedoch seltener bzw. immer berührter. Also bauen wir sie uns selbst, buchstäblich. Da kommt Reiner Riedler ins Spiel. Der aus Gmunden gebürtige, in Wien ausgebildete und mittlerweile international gefragte Fotograf reist seit langem und gerne, die Idee der neuen Tourismusziele hat sich quasi von selbst ergeben, versteht er sich doch als konzeptueller Dokumentarist.

Das Konzept ist die Erfassung der künstlichen Erlebniswelten mithilfe eines gleichbleibenden, querformatigen, nicht auf Sensationen bedachten, weitwinkligen Zugangs zu den Sujets. Die Sensationen ergeben sich von selbst, wenn man die Reisen zu den fake holidays mitmacht. Disneyland war einmal, ein rührender Anfang, verglichen mit den "käuflichen Paradiesen", die Riedler in den USA und in Europa, vielfach in Asien, aber auch in Wien und Amstetten entdeckt. Hier sind es Swingerclubs, eher die Ausnahme unter den ansonsten familientauglichen Wasserparks, Eishöhlen, Holy Lands und tropischen Inseln: Es gibt sie fast überall, aber nie dort, wo man sie vermutet; dann wären sie keine Überraschung. Skifahren in der Wüste hingegen oder Venedig und New York, ein bissl verkleinert, in Las Vegas: Das fetzt. Riedler ist Tourist und Anthropologe in einem, trotz des Buchtitels will er nicht vordergründig "entlarven". Wie hier Sehnsucht, Wunderland, Verwandlung, Leidenschaft und Machtspiele (so heißen die Teile des Fotobandes) inszeniert werden, hat eine innere Logik. Wir können entscheiden, ob sie uns anzieht oder ob uns die echte Eishöhle, der wirkliche Rote Platz lieber sind als der am Pool in Antalya. (Michael Freund, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 12./13.09.2009)