Der alte neue EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kann sich auf eine deutliche Mehrheit imEU-Parlament stützen. Bei der Nominierung der künftigen Kommissare tritt er auf die Bremse.
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Weniger Stimmen als bei seiner ersten Wahl im Jahr 2004, aber deutlich mehr, als seine schärfsten Gegner im Europäischen Parlament ihm zugetraut haben: So ist die Wiederwahl von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso einzuordnen.
382 von insgesamt 736 EU-Abgeordneten stimmten am Mittwoch in Straßburg für den Christdemokraten aus Portugal, 219 votierten gegen ihn. 117 Mandatare enthielten sich der Stimme. Vor fünf Jahren, als Barroso überraschend als Kandidat an der Spitze der europäischen Institutionen aufgetaucht war, hatte er noch 413 von insgesamt 732 Abgeordneten für sich gewinnen können.
Aber nur zahlenmäßig wiegt das mehr. Damals hatte er die Unterstützung der beiden großen politischen Lager in Europa, der Christdemokraten wie der zweitstärksten Fraktion der europäischen Sozialdemokraten (SPE). Letztere lehnten ihn nun heftig ab, fassten einen Fraktionsbeschluss auf Wahlenthaltung gegen "die Fehlentscheidung Barroso" , so SP-Fraktionschef Martin Schulz.
Dazu kommt: Seit den EU-Wahlen im Juni ist das versprengte Lager der deklarierten EU-Skeptiker und Nationalisten in Straßburg deutlich größer geworden. Barroso trat diesen entschieden entgegen - und für einen europäischen Integrationskurs ohne Wenn und Aber ein. Politisch gesehen kommt der Wiederwahl daher vermutlich wesentlich mehr Bedeutung zu als dem Votum von 2004.
Die Demokratie auf europäischer Ebene habe deutlich an Qualität gewonnen, freute sich der Grüne Daniel Cohn-Bendit. Er ließ auch am Mittwoch kein gutes Haar an Barroso, war aber einer der Ersten, die ihm nach der Wahl im Plenum demonstrativ die Hand reichten. Barroso musste wochenlang hart kämpfen, ging in die Fraktionen, stellte sich hitzigen Konfrontationen mit EU-Abgeordneten - vor allem von den Grünen, Linken und Sozialdemokraten.
Das hat es so in der Union bisher nicht gegeben. Erstmals musste ein Kommissionspräsident vor der Wahl auch ein politisches Leitprogramm vorlegen und öffentlich verteidigen. Barrosos Vorgänger Romano Prodi, Jacques Santer oder gar Jacques Delors mussten das nie.
Dementsprechend zufrieden zeigte sich der alte neue Kommissionschef unmittelbar nach der Abstimmung vor Journalisten: Er sei nun "absolut motiviert" , ja sogar "stolz" , erklärte er. Das Votum gebe ihm Kraft, er sei auch "zutiefst berührt" , es sei "eine große Ehre und eine große Verantwortung" . Auf Spekulationen, wer ihn in der geheimen Wahl gewählt habe, ob er sich auf die EU-Feinde stützen müsse, wollte er sich gar nicht erst einlassen.
Wichtig sei, dass nun Klarheit herrsche und die Kommission handlungsfähig bleibe, wenn auch nach dem Auslaufen ihres Mandats am 31. Oktober nur als Übergangskommission. Nun, sagte Barroso, wolle er wie angekündigt mit allen proeuropäischen Partnern, auch seinen Kritikern, zusammenarbeiten: "Meine Partei ist Europa. Es ist kein Zeichen der Schwäche, einen Konsens zu finden" , erklärte er, Konsens sei im europäischen Prozess Ausdruck der Stärke.
Dazu gehöre auch die Zusammenstellung der neuen Kommission, die Nominierung der weiteren Kommissare im Einklang mit den Regierungen der Mitgliedsländer.
In diesem Zusammenhang fiel auf, wie stark Barroso dabei auf die Bremse stieg, was den Zeitplan betrifft. "Informell" werde er sicherlich über die neue Kommission beraten, erklärte er, aber alles hänge jetzt einmal davon ab, "auf welcher rechtlichen Grundlage" man arbeite - entweder auf dem bestehenden EU-Vertrag von Nizza oder auf dem Vertrag von Lissabon, über den die Iren in einem Referendum am2. Oktober abstimmen werden.
Barroso: "Die Kommissare werden bestellt, wenn Klarheit besteht, welchen Vertrag wir haben." Er könne nur auf Basis geltenden Rechts agieren. Man müsse also zunächst die Abstimmung in Irland abwarten, dann seien die Staats- und Regierungschefs am Zug zu sagen, auf welcher Basis die Kommission zu bilden sei. Aus heutiger Sicht sei das nicht vor November zu erwarten, betonte Barroso. (Thomas Mayer aus Straßburg/DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2009)