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Zahnschmerzen gehörten vermutlich zu den harmlosen Diagnosen, die in der ÖBB systematisch gespeichert wurden. Chronische Erkrankungen hingegen führten rasch aufs Abstellgleis.

Foto: APA/dpa/Oliver Berg

Was bisher als Einzelfälle klassifiziert wurde, steht im ÖBB-Datenschutzbericht schwarz auf weiß: Zumindest in der ÖBB-Infrastruktur-Betrieb AG wurden sehr detaillierte Aufzeichnungen über medizinische Diagnosen gespeichert. Das geht aus dem ÖBB-Datenschutzbericht 2008 hervor, der dem Standard vorliegt.

Eisenbahnergewerkschaftschef Wilhelm Haberzettl schoss sich am Mittwoch auf Peter Klugar ein, ehemals Chef der ÖBB-Betrieb-AG und seit Mai 2007 Holding-Chef. Er habe von dieser Praxis gewusst. Ein ÖBB-Sprecher bestreitet dies, Klugar habe keine Weisungen zur Datenerhebung gegeben. Laut Wiener Zeitung wurden sogar Ehe- und Lebenspartner über Krankenstände von ÖBB-Bediensteten befragt.

Wien – Täglich kommen neue Details in der Causa ÖBB-Krankenaktenspeicherung ans Tageslicht. Laut ÖBB-Datenschutzbericht vom 1. Dezember 2008, der dem Standard vorliegt, wurde die ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG einer eingehenderen Überprüfung unterzogen. Und siehe da: "Hinsichtlich des Gesundheitsförderungsgesprächs musste festgestellt werden, dass in dem (individuell befüllbaren) Textfeld – zum Teil sehr detaillierte – medizinische Diagnosen eingetragen werden."

Details über diese Praxis bleibt der Bericht schuldig. Klar ist aber, dass die illegale Speicherung von personenbezogenen Krankendaten nicht nur jahrelang praktiziert, sondern der Konzernführung auch bekannt war. Denn Personalchef und Prokurist in sämtlichen ÖBB-Konzerngesellschaften war Franz Nigl, der damalige Geschäftsführer der ÖBB-Dienstleistungsgesellschaft (DLG, bis Juli 2008) – und zugleich Leiter des Datenschutzteams, das aufklären sollte.

Eisenbahnergewerkschaftschef Wilhelm Haberzettl präsentierte in der Mittags-ZiB am Mittwoch auch ein Datenblatt aus dem betrieblichen SAP-Programm aus dem Jahr 2009, das Diagnosedaten enthielt. Unterfertigt war das Datenblatt von Nigl und dem für Personal zuständigen Vorstandsdirektor der ÖBB-Betrieb-AG, Arnold Schiefer. Aufgezeichnet wurden Diagnosedaten allerdings auch schon unter Schiefers Vorgänger, Peter Klugar, nunmehr ÖBB-Holding-Vorstandssprecher.

Warum die Gewerkschaft zu den Vorwürfen so lang geschwiegen hat, erklärte Haberzettl nicht. Informell heißt es, man habe den Arbeitnehmervertretern seitens der ÖBB-Führung bereits 2008 volle Aufklärung zugesichert, das Versprechen aber offensichtlich nicht eingehalten.

Aufklärung könnte auch in anderen Fällen zweckmäßig sein. Krankheiten, Diagnosedaten und Krankenstandsdetails waren nämlich nicht die einzigen heiklen Informationen, die ÖBB-Führungskräfte und Personalisten über ihre Mitarbeiter erfahren – und vor allem dokumentieren wollten.

Laut dem ÖBB-Datenschutzbericht 2008 war an das betriebliche Datenschutzteam das Begehren herangetragen worden, E-Mails der Mitarbeiter zu lesen. "Das betriebliche Datenschutzteam wurde ersucht, eine generelle Vorgangsweise für jene Fälle festzulegen, in denen bei Abwesenheit des Postfachinhabers die Einsichtnahme in ein E-Mail-Fach erforderlich ist, um betriebliche bzw. geschäftliche E-Mails bearbeiten zu können" , heißt es im Datenschutzbericht.

Dieser Zugang wurde den Forderern ebenso wenig gewährt wie die Festlegung "einer generellen Vorgangsweise" für Ausnahmefälle, in denen es um die Beschaffung ausgewählter wichtiger Daten für Kundenkontakte ging, versichert ein Mitglied des Datenschutzteams.

Wohl aber wurde laut Bericht "in den ,Richtlinien über den Zugriff auf ein E-Mail-Postfach, das einem einzelnen Mitarbeiter zugeordnet ist‘ festgelegt, wer unter welchen Voraussetzungen unter Angabe definierter Informationen einen Zugriff anfordern kann und wie dieser Zugriff zu erfolgen hat" . Ein involvierter Eisenbahner schildert die für Notfälle festgelegte Vorgangsweise so: Die Einschau müsse schriftlich beantragt werden, erfolge nur im Vieraugenprinzip (mit Systemmanager) und nach Rücksprache mit dem Betroffenen. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.9.2009)